DNN/LVZ, 26.04.2012
Sieg für die Zivilgesellschaft
Kommentar von Jürgen Kochinke
Nicht erst seit der beispiellosen Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle wird von Politikern gern das Wort vom bürgerschaftlichen Engagement bemüht. Wenn es um den Kampf gegen vor- und antidemokratisches Gedankengut gehe, sei neben Polizei und Justiz vor allem auch die Zivilgesellschaft gefragt. So lautet das Argument, und es ist sogar richtig. Schließlich lässt sich - nicht nur - in Sachsen nahezu täglich beobachten, zu welch kruden Vorstellungen die Scheindemokraten von der rechtsextremen NPD neigen. Da gilt es gegenzuhalten - frühzeitig und nicht erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Wie in Zwickau.
Umso problematischer ist aber das, was sich Extremismusklausel nennt. Dahinter steht die Idee, nur jenen Initiativen Steuergeld zu offerieren, die sich schriftlich zum Rechtsstaat bekennen. Das klingt erstmal verständlich, ist es aber nicht. Denn im Kern enthält die Klausel einen einfachen Irrtum: Sie tut so, als ließe sich Verfassungstreue abprüfen wie ein Fragenkatalog in der Schule. Die Folgen sind ebenso vielfältig wie unschön: Zum einen werden gerade jene Vereine, die Flagge zeigen gegen das verfassungsfeindliche Treiben der braunen Kader, unter Generalverdacht gestellt. Und ganz nebenbei werden sie auch noch in Mithaftung genommen für ihre Partner.
Schon deshalb ist das Urteil der Richter von gestern bemerkenswert. Indem sie die absurde Extremistenklausel vorerst kassiert haben, stärken sie der Zivilgesellschaft den Rücken. Zugleich ist der Richterspruch eine Schlappe für die Befürworter einer "harten Linie" von der Union, allen voran Bundesfamilienministerin Schröder und Sachsens Innenminister Ulbig. Denn unpräzise und schwammig wie deren Vorgaben nunmal sind, wird die Klausel zum Gesinnungs-Tüv - ein untauglicher Versuch, mit einem Bekenntniszwang den Rechtsstaat vor seinen Feinden zu schützen. Das haben die Minister jetzt schwarz auf weiß.
Das ist allemal bundesweit bedeutsam, in Sachsen aber ist es von besonderer Brisanz. Schließlich haben sich die Behörden hierzulande beim Thema Rechtsextremismus nicht zum ersten Mal vergaloppiert. So steht mittlerweile fest, dass die Abfrage von rund einer Million Handydaten in Dresden nicht nur unverhältnismäßig und polizeitaktisch weitgehend sinnlos war. Sie bewirkte auch das Gegenteil von dem, was sie vorgab zu sein: Schutzschild für die bedrohte Demokratie. Es wird Zeit, dass die Verantwortlichen das überdenken.