DNN/LVZ, 08.05.2012
Geheimpapier: Brisante Hinweise auf Helfershelfer
Brisante Hinweise auf Helfershelfer - Geheimpapier belegt: Ermittler waren der rechtsextremen Terror-Zelle frühzeitig auf den Fersen - haben aber die Spur nicht verfolgt
Dresden. Bei der Aufklärung der Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle gab es ganz offenbar mehr Pannen als bisher angenommen. So hatten sächsische Ermittler nach Informationen der Leipziger Volkszeitung bereits vor Jahren Hinweise auf mögliche Hintermänner des Trios, gingen diesen aber nicht konsequent nach. Das belegt ein Geheimpapier aus dem Landesamt für Verfassungsschutz.
Das Schreiben ist vier Seiten lang und hochintern. Formales Thema ist das Ermittlungsverfahren gegen Beate Zschäpe wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung, allgemein "VS" genannt: "Nur für den Dienstgebrauch". Der Inhalt aber ist brisant. Denn in dem Papier listet Olaf Vahrenhold, Vizechef der sächsischen Verfassungsschützer, all das auf, was Geheimdienste sonst nur im Verborgenen treiben: Anwerbungsversuche im Milieu, operative Vorgänge heißt das im Jargon der Schlapphüte. Und vor allem: Es geht um mögliche Helfershelfer aus der Szene, ohne die die beispiellose Mordserie der Zwickauer Terror-Zelle kaum möglich gewesen wäre.
Dabei ist das Schreiben (Aktenzeichen 029-S-540 003-3-6/11) allemal geeignet, die sächsischen Geheimen in Bedrängnis zu bringen. Insgesamt sieben Mal, so Vahrenholds Hinweis an die Soko "Trio" im Bundeskriminalamt (BKA), habe das Landesamt zwischen 1995 und 2003 versucht, V-Leute im Neonazi-Milieu als Informanten zu gewinnen. All diese Gespräche aber wären erfolglos verlaufen - mal weil sich die Zielperson dekonspiriert habe, mal weil eine andere behauptet habe, kein Mitglied der Szene mehr zu sein. Entsprechend lautet das Fazit: Es sei zu keiner Zusammenarbeit gekommen, in keinem einzigen Fall.
Das war am 24. November 2011, kurz nachdem die Neonazi-Zelle rund um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe aufgeflogen war. Sinn der Übung: Die Soko "Trio" beim BKA hatte sächsische Behörden aufgefordert, Erkenntnisse über Rechtsextremisten zu liefern - zur Aufklärung der Mordserie, die zehn Menschen das Leben gekostet hatte. Das ist die eine Seite. Endgültig heikel aber wird das Schreiben wegen der Namen, die dort versammelt sind. Denn von den sieben Personen, die der Verfassungsschutz erfolglos anzuwerben versucht hatte, sind fünf mittlerweile als mögliche Hinterleute des Mord-Trios bekannt - André E., dessen Bruder Maik E., Kai S., Mandy S. und Jan W.
Das geheime Schreiben belegt somit, wie dicht die Ermittler dem Neonazi-Netzwerk auf den Fersen waren - und wie nachlässig sie vorhandene Spuren verfolgten. Besonders eklatant ist dies im Falle von Mandy S., die die Schlapphüte im November 2000 als Zielperson im Visier hatten. Auch diese hatte behauptet, sie hätte mit der Neonazi-Szene nichts mehr zu tun - was ihr die Ermittler offenbar abnahmen. Mittlerweile allerdings steht fest, welch zentrale Rolle Mandy S. gespielt hat. So nutzte Zschäpe unter anderem deren Personalien als Tarnidentität.
Doch nicht nur in diesem Falle schien den Ermittlern zu dämmern, dass Verbindungen zum Zwickauer Trio bestehen könnten. Auch beim Chemnitzer Neonazis Sylvio S., so der Tenor, sei 2001 ein Zusammenhang mit dem aus Thüringen stammenden Terror-Trio denkbar. Zu jener Zeit waren Böhnhardt und Co. längst untergetaucht. Allerdings hatten sie die Ermittler damals nicht als potenzielle Serienmörder im Visier, sondern "lediglich" als Bombenbastler. Entsprechend verlief auch diese Spur im Sande.
Das macht das Papier brisant. Im Kern ist es ein weiteres Indiz für die Pannenserie der Sicherheitsbehörden, die den Terror von ganz rechts außen nicht als solchen erkannt haben. Genau hier setzt Karl Nolle (SPD) an. "Dieser Bericht an das BKA", sagt der Obmann im sächsischen U-Ausschuss zur Terror-Zelle "dokumentiert entweder das Versagen des Verfassungsschutzes - oder er entspricht nicht der Wahrheit. Beides wäre ein Skandal." Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos bestätigte gestern die Existenz des Papiers auf Anfrage. Er bestand aber auf der Lesart, dass das Landesamt aus damaliger Sicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe.
Von Jürgen Kochinke