spiegel-online, 15:36 Uhr, 23.05.2012
Streit über Europa-Politik -Müntefering warnt SPD vor Kurs à la Hollande
In der SPD ist eine Debatte über das Verhältnis der Partei zu François Hollande entbrannt. Die Pragmatiker warnen Sigmar Gabriel davor, sich von Frankreichs Präsident vereinnahmen zu lassen. In der Fraktionssitzung wurde der SPD-Chef indirekt von seinem Vorgänger kritisiert.
Berlin - Wann immer Sigmar Gabriel über François Hollande spricht, wird der SPD-Chef euphorisch. Dass der Sozialist nun in Paris das Sagen habe, sei ein "Signal des Aufbruchs mit einer Strahlkraft, die weit über Frankreich hinaus reicht", sagt Gabriel. Gemeinsam werde man "Europa eine andere Richtung" geben. Gabriel nennt Hollande einen "Freund" und setzt auf eine deutsch-französische Achse gegen die Kanzlerin.
In der SPD stößt Gabriels Schulterschluss mit dem neuen Mann im Elysée-Palast auf wachsenden Unmut. Besonders die pragmatischen Sozialdemokraten nervt die Frankreich-Euphorie ihres Vorsitzenden zunehmend. Sie fürchten, zu viel Nähe zu Hollande könne beim Wähler hierzulande den Eindruck erwecken, als verlöre die SPD deutsche Interessen aus dem Auge. Statt eine Stütze im Kampf gegen Angela Merkel zu sein, drohe der neue französische Präsident so zur Bürde zu werden. Distanz und Eigenständigkeit müsse mit Blick auf Paris das Motto sein, heißt es.
In der Fraktionssitzung am Dienstag bekam Gabriel die Stimmung zu spüren. In seiner Einführung, so berichten es Teilnehmer, habe der Parteichef die Bedeutung Hollandes für die SPD noch einmal offensiv angesprochen. Nicht zuletzt in den Verhandlungen über den europäischen Fiskalpakt sei der neue Präsident ein wichtiger Verbündeter. Die Botschaft, die bei etlichen Parlamentariern ankam: Hollande ist unser Mann. Je mehr er sich gegen die Kanzlerin durchsetzt, desto besser ist das für die SPD.
In der Diskussion meldete sich ausgerechnet Gabriels Vorgänger Franz Müntefering zu Wort, was in der Fraktion auch deshalb mit Interesse wahrgenommen wurde, weil es nicht mehr allzu oft vorkommt. Müntefering, der gerade im konservativen Flügel der Partei noch Gewicht hat, habe zu einer längeren Intervention angesetzt, die weithin als direkte Botschaft an den Parteivorsitzenden gedeutet wurde.
"Ich bin Europäer genug, um so etwas sagen zu können"
Der Ex-Vorsitzende warnte davor, eine zu große Nähe zu den Sozialisten in Paris zu suchen. Die SPD müsse zuallererst für deutsche Interessen eintreten, die eigenen Konzepte stärker herausstellen und nicht nur im Kielwasser Hollandes fahren. Es gebe keinen deutsch-französischen "Automatismus", auch nicht in Sachen Euro. "Ich bin Europäer genug, um so etwas sagen zu können", wird Müntefering zitiert. Im Übrigen solle man offen die besten Rezepte gegen die Krise diskutieren, sagte er. Er selbst habe aber noch nicht die richtigen Antworten gefunden.
"Schön, dass du das auch merkst", soll der offenbar wenig amüsierte Gabriel laut Teilnehmern daraufhin dazwischengerufen haben. Einige Anwesende interpretierten den Zwischenruf als Ausfälligkeit gegenüber Müntefering. Andere deuteten ihn als übliche Flapsigkeit des Vorsitzenden. Begeisterung rief er mit dem Satz jedenfalls nicht hervor. Applaus habe eigentlich nur Müntefering bekommen. Bei Gabriel sei der Saal still geblieben, heißt es.
Hintergrund der Debatte über das Verhältnis zu Hollande ist vor allem dessen jüngster Vorstoß zur Einführung von sogenannten Euro-Bonds. Bei der SPD-Rechten besteht die Sorge, dass man aufgrund des Schulterschlusses mit dem Sozialisten für diese beim Wähler unpopuläre Forderung in Mithaftung genommen wird. Das Thema Euro-Bonds ist für die SPD innenpolitisch heikel. Zu Beginn der Euro-Krise zeigten sich weite Teile der Partei durchaus offen für die Einführung von europäischen Gemeinschaftsanleihen. Neuerdings schweigen die Genossen lieber zu dem Thema.
Oppermann übt Distanz zu Hollande
Für Gabriel, der ebenso wenig wie der Rest der Führungsspitze als Verfechter von Euro-Bonds gilt, ist der Streit ein Problem. Der Parteichef weiß, dass Gemeinschaftsanleihen auch in der eigenen Mitgliedschaft Ängste hervorrufen, deutsche Steuerzahler könnten auf diesem Wege für die Schulden südeuropäischer Staaten einstehen. Zugleich dürfte Gabriel sich aber darüber freuen, dass Hollande mit der heiklen Forderung die Kanzlerin europapolitisch unter Druck setzt. Dem französischen Präsidenten öffentlich zu widersprechen, würde seiner bisherigen Linie entgegenstehen.
Inzwischen versuchen die SPD-Pragmatiker, das Bild über das Verhältnis der Partei zu Hollande auch öffentlich zurechtzurücken. Die Freundschaft zum französischen Präsidenten soll nur ja nicht als zu eng erscheinen. "Es ist immer gut, wenn man in anderen Ländern einen Regierungschef aus der eigenen Parteienfamilie stellt", sagt der Sprecher des pragmatischen "Seeheimer Kreises", Garrelt Duin. "Aber Hollande kann nicht unsere Kämpfe gewinnen", mahnt er. "Es gibt auch keinen Bedarf, ihn zu kopieren."
"Präsident Hollande arbeitet für Frankreich, wir arbeiten für Deutschland", sagt auch Thomas Oppermann. Natürlich stimme man sich in vielen Fragen mit den Sozialisten in Paris ab. "Aber wir sind konkret erstmal für unser Land verantwortlich", so der einflussreiche Fraktionsgeschäftsführer. Die SPD müsse unabhängig von Hollande eigene Positionen festlegen.
Es klingt ein bisschen wie Müntefering in der Fraktion.
Von Veit Medick