Karl Nolle, MdL

Agenturen, dapd, 10:58 Uhr, 31.05.2012

NSU-Rechtsterror: Die schwere Last der Beweisführung - Nur noch drei Beschuldigte in Haft - Was wussten die Helfer von den Morden?

 
Berlin (dapd-lsc). Beate Zschäpe könnte bald die einzige in Haft verbliebene Beschuldigte im Ermittlungsverfahren zur rechtsterroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) sein. Erst in den vergangenen Tagen wurden Holger G., Carsten S. und Matthias D. aus der Untersuchungshaft entlassen. Und die Akten von Ralf Wohlleben und Andre E. liegen derzeit beim Bundesgerichtshof. Die Richter müssen entscheiden, ob der Tatverdacht gegen die beiden noch «dringend» genug ist, um sie in Untersuchungshaft zu behalten. Ralf Wohlleben wird als «mutmaßlicher Gehilfe» der Zwickauer Zelle geführt, Andre E. als «mutmaßlicher Unterstützer». Rund sechs Monate nach dem Auffliegen des Terrortrios wird damit immer deutlicher, wie schwierig es werden könnte, NSU-Helfer zur Verantwortung zu ziehen.

Dem Nationalsozialistischen Untergrund werden für die Zeit zwischen 2000 und 2011 zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge in Köln und 14 Banküberfälle zugerechnet. «Es stellt eine erschütternde Einmaligkeit dar, dass eine rechtsextremistische Gruppe jahrelang unerkannt im Untergrund lebt und vorsätzlich von Angesicht zu Angesicht tötet», sagt Eckhard Jesse, Extremismusforscher an der TU Chemnitz. «Von dieser neuen Qualität des Rechtsterrorismus sind alle überrascht, auch die Wissenschaftler.»

6000 Asservate und 33 Terabyte Daten

Rund 400 Beamte versuchen nach Angaben des Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, derzeit bundesweit, die Fälle aufzuklären. 6000 Asservate, Finger- und DNA-Spuren sind auszuwerten, dazu 33 Terabyte (33.000.000.000.000 Byte) an Daten von 22 Computern und 23 Festplatten. Als besonders wertvoll für die Ermittlungen gelten Holger G. und Carsten S. Beide saßen monatelang in Haft und haben ausführlich ausgesagt. Aus Sicherheitskreisen heißt es, Carsten S. sei «geradezu beseelt vom Wunsch, aufzuklären».

Der Lebenslauf des Carsten S. ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Bewertung der mutmaßlichen NSU-Helfer ist: Der 32-Jährige besorgte zwar 1999 oder 2000 die Tatwaffe, weshalb er auch weiterhin der Beihilfe zum Mord verdächtigt wird. Doch 2001 stieg er aus der rechten Szene aus und wandte sich «glaubhaft von rechtsradikalem Gedankengut» ab, heißt es aus der Bundesanwaltschaft. Er studierte Sozialpädagogik und arbeitete seit Jahren bei der AIDS-Hilfe in Düsseldorf.

BGH: NSU bestand nur aus dem Trio

Der NSU - das waren neben Beate Zschäpe noch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die am 4. November ums Leben kamen. Mutmaßungen, nach denen der NSU aus mindestens vier Mitgliedern bestanden habe, widerspricht die Bundesanwaltschaft - nach derzeitigem Ermittlungsstand. Doch neben Zschäpe gelten zwölf weitere Männer und Frauen aus dem Unterstützer-Umfeld als Beschuldigte im Verfahren. Sie sollen für das 1998 untergetauchte Trio etwa Waffen und Pässe organisiert oder Wohnungen angemietet haben.

Der Nachweis, dass sie von den Mordtaten gewusst haben, dürfte allerdings schwierig werden. Der Staatsschutzsenat des BGH konnte etwa die Aussage Holger G.s nicht widerlegen, dieser habe «zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet», dass das von ihm unterstützte Trio «Straftaten gegen das Leben anderer» begehe. Ähnlich ist die Problematik bei den anderen Beschuldigten.

Auch Vermutungen, nach denen die NPD mit dem NSU verbandelt war, sind schwer zu belegen. Bislang nachweisbar sind lediglich Verbindungen einzelner NPD-Funktionäre. Ralf Wohlleben etwa, der als «mutmaßlicher Gehilfe» des NSU noch in U-Haft sitzt, war bis 2008 stellvertretender Landesvorsitzender der Thüringer NPD. Und bei der Durchsuchung von Räumen des NPD-Landtagsabgeordneten in Mecklenburg-Vorpommern David Petereit wurde ein Brief gefunden, der offenbar vom Terrortrio stammte.

Versäumnisse von Behörden und Justiz

Mittlerweile aktenkundig sind diverse Versäumnisse von Behörden und Justiz bei den Ermittlungen gegen die drei in Jena untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und zur Mordserie. Ein erstes vernichtendes Urteil stellte die sogenannte Schäfer-Kommission Mitte Mai den Thüringer Sicherheitsbehörden aus. Zeitweise hätten bei den Ermittlungen «chaotische Zustände» geherrscht. Nur eines entkräftete das Schäfer-Gutachten: Die frühe Vermutung, das Trio sei vom Verfassungsschutz gedeckt worden.

Um Behörden-Fehler in Sachen NSU geht es auch bei drei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im Bundestag und in Sachsen und Thüringen. Bei den Ausschusssitzungen im Bundestag fällt vor allem eines auf: Kaum ein Zeuge gibt Versäumnisse zu. Der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein etwa, in dessen Bundesland fünf der zehn Morde verübt wurden, sah «keine substanziellen Fehler» bei seinen Behörden. Der damalige Nürnberger Oberstaatsanwalt Walter Kimmel gab sogar zu Protokoll, «alles Menschenmögliche» unternommen zu haben.

Dem widersprechen Ausschussmitglieder vehement: Der CDU/CSU-Obmann, Clemens Binninger, sagte etwa, er habe den Eindruck einer «organisierten Unverantwortlichkeit» bei den Ermittlungen gewonnen.

Von Katrin Aue

dapd/T2012053153024/auk/oja/mel
311058 Mai 12

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