Karl Nolle, MdL

spiegel-online. 17:18 Uhr, 05.06.2012

Kampf gegen die Schulden; Einmal Krise nach Hausfrauenart, bitte!

 
Die schwäbische Hausfrau gilt als Ideal der Wirtschaftspolitik: sparsam und vorsichtig. Doch gerade weil sich diese Mentalität bei den Verbrauchern überall in Europa durchgesetzt hat, steckt der Kontinent in der Krise. Was für den Einzelnen vernünftig ist, führt kollektiv in die Sackgasse.

Gern wird in wirtschaftspolitischen Debatten die Fiktion einer schwäbischen Hausfrau beschworen, deren Handeln Ausbund bodenständiger ökonomischer Vernunft sei. Sie gilt als das Beispiel, an dem sich Wirtschaftspolitik zu orientieren hat. Gemeint ist damit vor allem die ihr unterstellte Sparsamkeit und Vorsicht, die Politikern als leuchtendes Vorbild empfohlen wird.

Nun hat die schwäbische Hausfrau eine Schwester in Spanien. Katalanen gelten in Spanien als ebenso sparsam und vorsichtig wie die Schwaben in Deutschland. Somit verhält sich die katalanische Hausfrau genauso wie die schwäbische. Sie spart gern und geht mit ihrem Geld vorsichtig um.

Nun ist Spanien trotz seiner katalanischen Hausfrauen auf den Finanzmärkten nicht sehr gut angesehen. Nur gegen hohe Risikoaufschläge sind private Finanzanleger bereit, dem spanischen Staat Geld zu leihen. Zu viel haben in deren Augen die Rettung der Banken durch den Staat und die Bewältigung der Immobilienkrise gekostet. Da scheint es nahe zu liegen, dem spanischen Staat den Ratschlag zu geben, mehr zu sparen. Das macht er denn auch. Ausgaben werden spürbar gekürzt und Steuern deutlich erhöht. Ist die katalanische Hausfrau nun zufrieden?

Die Señora reagiert wie immer und spart

Mitnichten. Das Unternehmen, in dem ihr Mann arbeitet, bekommt nun vielleicht weniger Aufträge vom Staat. Er droht seine Arbeit zu verlieren, hat sie vielleicht schon verloren. Gleichzeitig schmälern auch noch die höheren Steuern das Familienbudget. Die Señora reagiert wie immer und spart. Nun sind aber auch ihre Ausgaben die Einnahmen anderer, beispielsweise des Bäckers oder des Einzelhändlers. Diese verlieren gleichfalls Einnahmen und müssen nun ihrerseits sparen, zum Beispiel indem sie ihre Mitarbeiter entlassen. Und so nimmt die Sparwelle nicht zuletzt dank der katalanischen Hausfrau ihren immer schneller werdenden Lauf. Es ist ein Lauf, der die spanische Wirtschaft in eine tiefe Rezession führt.

Und dann kommt noch ein Anruf von einer weiteren Schwester, die in Griechenland lebt. Sie kennt die Probleme der spanischen Schwester nur allzu gut aus ihrem eigenen Land. Ihre Lage ist mittlerweile so verzweifelt, dass kaum noch jemand an eine Rettung glaubt. Mehr noch, sie befürchtet, dass Griechenland binnen kurzer Zeit die Zugehörigkeit zum Euroraum verlieren könnte. Gerade eben erst hat sie gehört, dass deutsche Ökonomen und Forschungsinstitute bereits Ausstiegsszenarien durchrechnen und durchblicken lassen, es sei gar nicht so schlimm, wenn die Griechen ihre Euro verlören.

Das glaubt die griechische Hausfrau nicht, denn ihr ist klar: Mit der neuen Währung werden ihre Ersparnisse wahrscheinlich massiv an Wert verlieren. Also rät sie ihrer spanischen Schwester, das zu tun, was sie schon längst getan hat, nämlich ihre Ersparnisse schnell in Sicherheit zu bringen. Aber wohin?

Nun, auch dafür hat die griechische Schwester einen Rat: nach Deutschland. Denn Deutschland wird entweder den Euro behalten oder eine neue D-Mark bekommen. In beiden Fällen bleibt der Wert der Ersparnisse erhalten. Gesagt, getan: Also überweist die katalanische Hausfrau schnellstmöglich ihr Erspartes an ihre schwäbische Schwester, die es wiederum bei einer deutschen Bank anlegt.

Das hat Folgen. Denn die ohnehin schon durch Fehlinvestitionen in den Immobiliensektor gebeutelten spanischen Banken verlieren durch die Flucht der Ersparnisse massiv an Liquidität und drohen pleite zu gehen. Man nennt das einen Bank-Run, und es ist in der Regel die finale Phase vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch sowohl der Banken als auch der gesamten Volkswirtschaft.

Berechtigte Sorge um das Familienbudget

Genau dies spielt sich gerade vor unseren Augen im Euro-Raum ab. Es wäre aber verfehlt, den katalanischen, griechischen, schwäbischen oder sonstigen Hausfrauen hieran die Schuld zu geben. Sie verhalten sich subjektiv völlig vernünftig, der berechtigten Sorge um ihr Familienbudget folgend. Gleichwohl sind die gesamtwirtschaftlichen Folgen verheerend.

Der grundlegende Fehler besteht darin, dass auch die Wirtschaftspolitik glaubt, mit der Logik eines Familienbudgets die Krise bekämpfen zu können. Genau deshalb droht der Zusammenbruch des Euro-Raums. Was jetzt nottut, sind Maßnahmen, die das Vertrauen in die Zukunft des Euro-Raums wiederherstellen. Für Wachstumsimpulse und ebenso gut gemeinte Marshallpläne ist es nunmehr leider zu spät. Zu lange hat man dem Zerfall seinen Lauf gelassen, um dadurch noch irgendwelche nennenswerten Effekte erzeugen zu können.

Jetzt helfen nur noch Maßnahmen, die deutlich machen, dass die Regierungen den Euro-Raum in seiner bisherigen Zusammensetzung erhalten wollen, mit aller Macht.


•Als erstes sollte die EZB - nach vertraulicher Abstimmung mit den Regierungen - öffentlich erklären, dass sie wieder Staatsanleihen aufkaufen wird. Und zwar solange, bis die Stabilität des Zahlungsverkehrs innerhalb des Euro-Raums wieder gewährleistet ist.
•Gleichzeitig müssen die Sparprogramme gestreckt werden, um den Volkswirtschaften Luft zum Atmen zu geben.
•Als drittes sollten die Regierungschefs erklären, dass sie ein neues institutionelles Gefüge aufbauen werden, das solche Krisen in Zukunft verhindern wird.

Langfristig führt kein Weg am demokratisch kontrollierten Aufbau einer europäischen Finanzpolitik vorbei, die den gesamtwirtschaftlichen Bedürfnissen des europäischen Währungsraums dient. In einem solchen veränderten institutionellen Gefüge werden auch die katalanischen, schwäbischen und andere Hausfrauen und -männer wieder genug Vertrauen gewinnen, um ihre Ersparnisse im eigenen Land zu lassen.

Karl Nolle im Webseitentest
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