Sächsische Zeitung, 21.06.2012
Bloß nicht drüber reden“ - Neonazis werden nicht länger ignoriert. Dennoch ist Sachsens Extremismuskonferenz umstritten.
Gerti Töpfer redet. Über die NPD vor ihrer Tür. Dass führende Funktionäre der Partei sowie deren Sprachrohr „Deutsche Stimme“ sich in Riesa angesiedelt haben. Darüber, dass Frauen rechtsextremer Politiker versuchen, in Kindergärten für die braune Sache Präsenz zu zeigen. Die Riesaer Oberbürgermeisterin erzählt von jemandem, der einen guten Job in der Stadt abgelehnt habe. Aus Sorge um seine dunkelhäutige Partnerin.
Gerti Töpfer spricht offen über Probleme einer sächsischen Kommune mit Neonazis. Und das ist für eine CDU-Politikerin bemerkenswert. Lange, sagt Töpfer selbst, habe gegolten: „Bloß nicht drüber reden.“ Geholfen hat das offensichtlich wenig. Und so wird Töpfer nicht müde zu betonen, was Riesas Offenheit alles gebracht hat: Es gibt mittlerweile ein Bürgerbündnis für Toleranz, ein deutsch-polnisches Jugendprojekt zum Zweiten Weltkrieg, den „Riesaer Appell“ gegen „Hass auf Menschen“.
Teilnehmer unter Druck?
Töpfer begrüßt mit diesem Statement die rund 500 Teilnehmer der zweiten sächsischen Extremismuskonferenz. Die Regierungsrunde mit sächsischen Politikern, Polizisten, aber auch Lehrern und Pfarrern in der Riesaer Erdgasarena ist umstritten. Oppositionspolitiker und Gewerkschafter haben abgesagt, weil sich die „Showveranstaltung“ dem Extremismus, nicht aber explizit dem Rechtsextremismus widme. Etwa 30 Jugendliche aus dem linken Spektrum demonstrieren vor der Halle.
In der Tat: Sachsen tut sich noch immer schwer, das Extremismusproblem zu erfassen und zu gewichten. Es beginnt eher harmlos damit, dass Konferenz-Moderator Jürgen Liminski nicht nur für den Deutschlandfunk arbeitet, sondern auch mehrfach für die rechtskonservative Zeitung „Junge Freiheit“ Beiträge verfasste. Für SPD-Mann Henning Homann ist das ein „Affront“ gegenüber jenen, die sich seit Jahren vor Ort und unter Gefahren gegen Neonazis einsetzen.
Nach Recherchen des Sozialdemokraten – und das ist der gewichtigere Vorwurf – warten Demokratieinitiativen noch immer auf staatliche Fördermittel aus einem Landesprogramm. Und der Grünen-Abgeordnete Miro Jennerjahn, einer der wenigen Oppositionspolitiker in Riesa, berichtet vom „Druck zur Teilnahme“, den die Regierung aufgebaut habe. So sollten einige Projekte offenbar dazu gedrängt werden, sich beim „Markt der Möglichkeiten“ im Foyer mit einem Stand zu präsentieren. Falls stimmt, was deren Vertreter Jennerjahn vertraulich erzählten, wäre die rund 130.000 Euro teure Extremismuskonferenz jedenfalls in Teilen eine unredliche Inszenierung. Der Abgeordnete Homann spricht unverhohlen von einem „Marketinggag“.
Dabei hat die Tagung unter dem Motto „Hinschauen, mitmachen, vorbeugen und schützen – Für Sachsen, gegen Extremismus“ durchaus Qualität. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) fordert, zum Unmut der Opposition, ein Einschreiten gegen „Extremisten aller Couleur“. Doch dann kündigt er mit Blick auf das von ihm geforderte NPD-Verbot an, Hinweise auf Verbindungen zwischen der Partei „und den gewaltbereiten und gewalttätigen Kameradschaften sehr genau zu prüfen“. Zudem bezeichnet Tillich die NPD als „Brandstifterin“, die den Boden für die Mordserie des Zwickauer Terrortrios bereitet habe. Nicht immer finden Regierungschefs beim Thema Neonazis so deutliche Worte.
Wichtig ist die Konferenz auch deshalb, weil vom Rechtsextremismus Betroffene ihre Erfahrungen öffentlich machen. Etwa Harry Habel, der Bernsdorfer Bürgermeister. In dem Ort mit 7.000 Einwohnern erstach, wie Habel erzählt, vor zwölf Jahren ein Vietnamese einen Rechten, nachdem er zuvor wohl provoziert worden war.
Was folgte, waren Neonazidemos und ein NPD-Wahlergebnis von 40 Prozent in einem Ortsteil. Doch Habel schwieg nicht – und holte Partner. In dem Ort im Kreis Bautzen ist ein Jugendklub entstanden, ein Mehrgenerationenhaus und ein Treff für Spätaussiedler. „Wir haben den Rechtsextremen alle Themen weggenommen, die es eigentlich so gibt“, sagt Habel.
Perspektiven im Plattenbau
Und Thomas Lorenz, Leiter einer Mittelschule in einem Dresdner Plattenbaugebiet, beschreibt, worum es geht, wenn Kinder aus einkommensschwachen Familien rechtes Zeugs reden: „Erzählen Sie solchen Kindern, dass es Perspektiven gibt.“ Die gibt es – und es gibt Dutzende Anlaufstellen. Nötig sind sie allemal. Kurz vor der Konferenz tauchte im Internet eine Montage auf, die einen Brandanschlag auf ein alternatives Wohnprojekt in Görlitz zeigt. Motto: „Dieser Sommer wird heiß.“
Von Thilo Alexe