Karl Nolle, MdL

Agenturen dpa, 17:27 Uhr, 28.06.2012

Geschredderte Akten rücken Verfassungsschutz ins Fadenkreuz

 
Es klingt nach einem ganz schlechtem Krimi: In dem Moment, in dem sich das Geheimnis um eine mysteriöse Mordserie im rechtsextremen Milieu zu lüften beginnt, wird der Verfassungsschutz aktiv - völlig dilettantisch: Die Schlapphüte vernichten Akten.

Berlin (dpa) - Die Sache hat das Zeug zum hochkarätigen Skandal. Noch wird fieberhaft geprüft, wie es zu einer solchen Panne überhaupt kommen konnte - und im Berliner Politikbetrieb schütteln alle entsetzt den Kopf. Die Rede ist von einem bislang beispiellosen Versagen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).

Während der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, an diesem Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Versagen der Ermittlungsbehörden Rede und Antwort stehen muss, brauen sich auch über den Verfassungsschützern dunkle Wolken zusammen.

Denn bei ihnen wurden Akten über Umtriebe des rechtsextremen Thüringer Heimatschutzes genau zu dem Zeitpunkt geschreddert, als der Generalbundesanwalt die Ermittlungen zur Mordserie der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) an sich zog. Das war am 11. November vergangenen Jahres.

Gegen den für die Vernichtungsaktion zuständigen Referatsleiter ist inzwischen ein disziplinarrechtliches Prüfverfahren in Gang gesetzt worden. Der Mann hat die Anordnung zur Vernichtung der sieben Aktenordner gegeben, und zwar an eben jenem 11. November vergangenen Jahres, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Fachleute fragen sich, was einen erfahrenen, mit den Vorgängen um die «Operation Rennsteig» vertrauten Beamten so handeln ließ, wie er gehandelt hat. Bei der Operation in den Jahren 1997 und 2003 ging es um den Einsatz von V-Leuten im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes. Diese enthielten aber - wie es heißt - keinerlei Hinweis auf das NSU-Mördertrio Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Intern wird gemutmaßt, der Beamte habe einfach mit Blick auf die Akten-Verfallsfrist von zehn Jahren entschieden: Weil darin angeblich keine verwertbaren Infos enthalten seien, habe er die Dokumente für den Reißwolf freigegeben. Dass durch die neuen Erkenntnisse zur NSU eine neue Lage entstanden war und die Akten wichtige Informationen enthalten könnten, das ignorierte der beamtete Verfassungsschützer ganz offensichtlich. Aus welchen Gründen auch immer. Die Opposition wittert indes schlicht Vorsatz.

Was aber nicht weniger schlimm wiegen dürfte: Der Mann hat dem Vernehmen nach versucht, den Vorgang dadurch zu vertuschen, dass er die Vernichtung der sieben Aktenordner um mehr als ein dreiviertel Jahr vordatierte. Auf einen Tag Anfang Januar 2011. So wurde das auch nach oben gemeldet und von den Medien damals auch berichtet. Nur weil der Vorgang für den derzeit tagenden NSU-Untersuchungsausschuss im Verfassungsschutzamt genauer unter die Lupe genommen wurde, flog die Täuschung jetzt auf.

Für den Volksmund stinkt der Fisch bekanntlich immer vom Kopf her. Ob die brisante Aktenvernichtung für BfV-Präsident Heinz Fromm nach zwölf Jahren im Amt gefährlich werden kann, ist derzeit offen. In Sicherheitskreisen wird die Sache als absoluter Einzelfall und rein individuelles Versagen heruntergespielt. Typisch für den Verfassungsschutz sei das alles nicht. Unter Hochdruck versucht man dort immerhin, die geschredderten Infos wieder zu rekonstruieren: Aus nicht vernichteten Akten. In der kommenden Woche muss nämlich BfV-Präsident Fromm vor dem NSU-Untersuchungsausschuss erscheinen.

von Günther Voss

dpa vs yydd a3 sk/hgk
281727 Jun 12

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