Agenturen dapd, 16:47 Uhr, 28.06.2012
Friedrich verspricht Aufklärung nach Verfassungsschutzpanne - NSU-Ausschuss wirft Sicherheitsbehörden Vertuschung vor - BKA-Chef: «Wir haben versagt»
Berlin (dapd-lsc). Nach einem Proteststurm wegen vernichteter Akten im Fall der Zwickauer Terrorzelle hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die Angelegenheit zur Chefsache gemacht: Er habe Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm persönlich angewiesen, «diesen Vorfall lückenlos aufzuklären und mir so rasch wie möglich zu berichten», sagte der CSU-Politiker am Donnerstag in Berlin.
Mitglieder des zuständigen Untersuchungsausschuss hatten den Sicherheitsbehörden zuvor Vertuschung vorgeworfen. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, gestand vor dem Ausschuss derweil ein Versagen der Sicherheitsbehörden ein.
Ein Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hatte am 11. November 2011 sieben Akten vernichten lassen, aus denen hervorging, wie im Rahmen der Operation «Rennsteig» mit V-Leuten aus der NSU-Vorgängerorganisation Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet wurde. Die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) flog auf, nachdem die beiden Haupttäter, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, am 4. November 2011 Selbstmord begangen hatten. Die Terroristen werden bundesweit für zehn Morde verantwortlich gemacht.
Parlamentarier werfen Behörden Vertuschung vor
Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses zeigten sich empört über die Panne beim Verfassungsschutz. FDP-Obmann Hartfrid Wolff nannte den Vorfall einen «unglaublichen Vorgang». SPD-Obfrau Eva Högl sprach von einem «unerhörten Skandal». Erst die Aufforderung, die Beweismittel zusammenzustellen, habe bei den Sicherheitsbehörden offenbar dazu geführt, ebendiese zu vernichten. Es dränge sich deshalb der Verdacht auf, dass Fehler der Behörden vertuscht werden sollten.
Grünen-Obmann Wolfgang Wieland verlangte, es müsse geprüft werden, ob die bisherigen Auskünfte stimmten, dass die NSU-Mitglieder nicht auf den Lohnlisten der Verfassungsschutzämter standen. Im BfV wird dies jedoch weiterhin ausgeschlossen, wie es aus Sicherheitskreisen hieß. Zudem versicherten die Geheimdienstler, die Akten aus Kopien in anderen Ablagen wieder rekonstruieren zu wollen. Als mögliche Begründung für die Aktenvernichtung gab ein Vertreter des BfV an, es sei bei der Suche nach Beweismitteln zu den NSU-Terroristen aufgefallen, dass die Speicherfristen für die fraglichen Dokumente abgelaufen seien.
Doch das ist aus Sicht von CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger kaum glaubhaft. «Ich halte diese Begründung für wenig überzeugend, für wenig plausibel, weil man in so einem Fall natürlich die Amtsleitung fragen müsste», sagte er. Er warnte zudem davor, dass derartige Vorfälle weitere Spekulationen über fragliche Aktionen von Sicherheitsbehörden befeuere.
Innenminister Friedrich versprach unterdessen, über das Ergebnis der internen Untersuchung des Vorgangs das zuständige Gremium des Bundestages für die Kontrolle der Nachrichtendienste (PKGr) zu informieren. Er wies darauf hin, dass er bereits am Mittwoch, unmittelbar nach Kenntnis des Sachverhalts, das Geheimdienstgremium informiert habe. «Mein Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche hat persönlich gegenüber dem geheim tagenden Gremium vorgetragen und die Abgeordneten über diesen Vorgang unterrichtet», sagte er.
«Wir haben versagt»
Derweil vernahm der Untersuchungsausschuss am Donnerstag den BKA-Präsident Ziercke. Der Polizeichef sagte während der Befragung, er bedauere, dass die deutschen Sicherheitsbehörden ihrem Schutzauftrag nicht nachgekommen seien und fügte hinzu: «Wir haben versagt.» Konkrete Fehler wollte er jedoch nicht zugeben. Auch verteidigte Ziercke die Entscheidung, dass das BKA die Ermittlungen zu dem Fall nicht an sich zog.
Der Ausschuss will unter anderem klären, welche Rolle Ziercke bei den Ermittlungspannen gespielt hat. Die Terroristen sollen von 1998 bis zu ihrem Auffliegen 2011 nahezu unbehelligt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund gelebt und ihre Morde begangen haben. Ziercke ist seit 2004 Präsident des BKA.
Neben Ziercke sollte am Nachmittag der leitende Kriminaldirektor beim Polizeipräsidium Nordhessen, Gerald Hoffmann, vom Ausschuss befragt werden. Beim neunten NSU-Mord, im April 2006 in Kassel, war angeblich zufällig ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort gewesen.
dapd/T2012062850725/cjt/nik
281647 Jun 12
Von Johann Tischewski