Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 07:09 Uhr, 03.07.2012

Schredder-Affäre - FDP droht mit Klagen gegen Verfassungsschutz

 
Trotz des Rückzugs von Präsident Heinz Fromm steigt der Druck auf den Inlandsgeheimdienst. Das Schreddern wichtiger Akten empört Politiker fast aller Parteien. Der liberale Bundestagsabgeordnete Kurth erwägt sogar juristische Schritte gegen die Behörde.

Berlin - Die Schredder-Affäre ist für den Verfassungsschutz mit dem Abschied ihres Chefs Heinz Fromm längst nicht ausgestanden. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth hält mittlerweile juristische Schritte gegen die Behörde für möglich. "Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muss, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können", sagte das Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums der "Mitteldeutschen Zeitung".

Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass Verfassungsschützer Akten zur rechten Szene geschreddert hatten, nachdem die Zwickauer Neonazi-Zelle aufgeflogen war. Ihr werden bundesweit zehn Morde zur Last gelegt. Die Opfer waren neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. In den gelöschten Unterlagen ging es um Details zu einer Geheimoperation, bei der V-Leute im Einsatz waren.

Der 63-jährige Fromm hatte am Montag Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) um die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 31. Juli gebeten. Der Minister entsprach wenig später dieser Bitte. Fromm wird allerdings noch einige Fragen beantworten müssen: Am Donnerstag wird er dem Bundestagsuntersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Das Gremium trifft sich bereits am Dienstag zu einer Sitzung.

Weg vom "Schlapphut-Image"

Der Vorsitzende des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD) nannte die Löschung von Ermittlungsdaten einen unglaublichen Skandal. Der Bundestagsabgeordnete beklagte sich außerdem im ARD-Morgenmagazin darüber, dass der Militärische Abschirmdienst "sich weigert, dem Untersuchungsausschuss die Akten zukommen zu lassen. Das wird noch viele Diskussionen geben - so geht's jedenfalls nicht. Ich habe schon den Eindruck, wir werden da ein bisschen behindert bei der Aufklärung." Edathy will in der Sitzung am Donnerstag auch den direkt für die Aktenvernichtung verantwortlichen Referatsleiter als Zeugen hören.

Der Verfassungsschutz müsse weg vom Schlapphut-Image, forderte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. "Verfassungsschützer müssen nicht in erster Linie Geheimdienstler sein, sondern geschulte Demokraten mit einem richtigen Gespür für die Gefahren, die unserer Demokratie drohen."

Der Bundestagsabgeordnete beklagte sich außerdem im ARD-Morgenmagazin darüber, dass der Militärische Abschirmdienst "sich weigert, dem Untersuchungsausschuss die Akten zukommen zu lassen. Das wird noch viele Diskussionen geben - so geht's jedenfalls nicht. Ich habe schon den Eindruck, wir werden da ein bisschen behindert bei der Aufklärung."

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte, der Rücktritt Fromms erledige das Thema keineswegs. "Allein bei persönlichen Konsequenzen für den Präsidenten wird es wohl nicht bleiben können", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Grüne fordern Neuanfang in der Führung

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, Mitglied im Kontrollgremium, verlangte eine noch stärkere Aufklärung mit einem Neuanfang in der Führung der Behörde. "An die Spitze des Dienstes muss jemand gestellt werden, der unbelastet ist", sagte er der "Neuen Presse".

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, zeigte sich entsetzt angesichts der Aktenvernichtung. "Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang", sagte er der "Berliner Zeitung". "Das macht mich stutzig, ob es nicht eine Verquickung des Verfassungsschutzes mit den Terroristen gab." Kolat fügte hinzu: "Ich habe heute überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane - in den Verfassungsschutz schon gar nicht."

Friedrich will Arbeitsweise des Verfassungsschutzes überprüfen

Bundesinnenminister Friedrich kündigte weitere Konsequenzen in der Behörde an. Man müsse sich grundsätzlich Gedanken machen über die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes, sagte er im Deutschlandfunk. "Der Nachrichtendienst ist ja nicht für sich da, sondern er ist für die Information (...) der Abgeordneten als Vertreter der Bevölkerung da", so Friedrich. "In einer Demokratie muss es eine Kontrolle von Nachrichtendiensten durch die gewählten Abgeordneten geben, und das muss sichergestellt werden."

Kurzfristige personelle Veränderungen an der Spitze des Verfassungsschutzes werde es zunächst nicht geben. "Der Präsident bis zum 31. Juli heißt Heinz Fromm. Dann wird er in Ruhestand gehen, und dann werden wir ganz in Ruhe über Reformen oder über Veränderungen beim Verfassungsschutz reden", sagte der Innenminister. "Und dann werden wir auch über Personal reden, das ist heute alles noch zu früh."

heb/dpa/dapd

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