Karl Nolle, MdL

spiegel-online.de, 17:27 Uhr, 02.07.2012

Endstation Rennsteig - Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident Fromm

 
Die vernichteten Akten zur "Operation Rennsteig" wurden ihm zum Verhängnis: Mit Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm stürzt der erste Behördenchef über die blamable Suche nach den Neonazi-Terroristen vom NSU. Was kommt noch heraus?

Berlin - Wer Heinz Fromm besser kennt, ahnte schon am vergangenen Donnerstagmorgen, dass der Verfassungsschutzchef innerlich kochte und der Druck für ihn kaum noch auszuhalten war. Sein Amt und das Innenministerium hatten einige Journalisten zu einem Hintergrundgespräch gebeten. Thema: Die gerade bekannt gewordene Aktenvernichtung über V-Leute im direkten Umfeld der Neonazi-Killer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU).

Was Fromm zu berichten hatte, war wenig schmeichelhaft für den Inlandsgeheimdienst. Rasch und ziemlich detailliert gestand er ein, dass kurz nach dem Auffliegen der rechten Terrorzelle Ende 2011 beim Verfassungsschutz umfangreiche Aktenbestände über V-Leute in der Szene aus formalen Gründen gelöscht worden waren.

Fromm trommelte unter dem Tisch mit den Füßen und hielt sich an seiner Tischvorlage fest. Dann brach es auch ihm heraus: So etwas sei in seiner Amtszeit noch nie vorgekommen. Über den "beispiellosen Vorgang" sei er "stinksauer". Solche Worte hatte man bisher nie von Fromm gehört.

Die Pannenserie der Behörden hat die obersten Ränge erreicht

Was Fromm an diesem Vormittag nicht preisgab, war ein Gespräch, das er offenbar schon zuvor mit seinem Chef, dem Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), geführt hatte. Schon Ende der Woche, so wird es von Vertrauten berichtet, bot Fromm wegen der Pannen in seinem Amt seinen Posten an. Friedrich jedoch soll die Rücktrittsofferte abgelehnt haben, stattdessen forderte der Minister wenig später in aller Öffentlichkeit, die Vorfälle sollten zügig und rückhaltlos aufgeklärt werden.

Die Operation Recherche in den eigenen Reihen, so Friedrich, solle Fromm als Chef des Geheimdienstes selbst übernehmen und dem Minister umgehend berichten. Mit dem klaren Rüffel, so schien es, war die Affäre um die "Operation Rennsteig" - so hatten die Agenten ihre Schnüffel-Mission in der rechten Szene benannt - zunächst einmal beruhigt.

Zur Aufklärung durch Fromm wird es nicht mehr kommen. Am Sonntagabend rief Fromm seinen Chef erneut an. Klar im Ton und entschieden in der Sache bat der Geheimdienstmann, seit zwölf Jahren Chef der Inlandsaufklärung, per Telefon um seine frühzeitige Pensionierung. Ein Jahr vor seiner regulären Ablösung, so der 63-Jährige, wolle er Ende Juli in den Ruhestand gehen.

Friedrich blieb in dieser Situation nichts anderes übrig, er musste die Entscheidung akzeptieren. Spätestens jetzt, das war klar, hatte die Pannenserie der deutschen Behörden bei den Ermittlungen gegen die NSU die obersten Ränge der Sicherheitsarchitektur erreicht.

Druck auf Fromms Kollegen steigt

Mit dem Rückzug auf eigenen Wunsch hat Fromm ein politisches Zeichen gesetzt. Es gibt nach wie vor zahlreiche unbeantwortete Fragen an die vielen beteiligten, bis zum Ende ahnungslosen Behörden im Fall der NSU. Die Opposition fordert nun wortstark weitere Aufklärung. Kommen im Untersuchungsausschuss noch mehr Pannen anderer Behörden zu Tage, wären nicht nur Behördenchefs, sondern auch der Innenminister in ernster Bedrängnis, weitere Konsequenzen zu ziehen.

Was Fromm dazu bewegt hat, seinen Chef im Innenressort per Telefon mehr oder minder zur eigenen Entlassung zu zwingen, ist unklar. Weggefährten werten Fromms Schritt als eine sehr persönliche Entscheidung. Schon als sie am Wochenende im SPIEGEL lasen, dass Fromm die Pannen als "Vorgang, wie es ihn in meiner Amtszeit bisher nicht gegeben hat" bezeichnete, einen "erheblichen Vertrauensverlust" und gar "eine gravierende Beschädigung des Ansehens des Amtes" verortete, war für viele ein Rücktritt nur noch eine Frage der Zeit.

Einige mutmaßten gar, dass Fromm mit den Zitaten seinen Rückzug quasi erzwungen habe. "Der Ruf des Dienstes war für ihn stets wichtiger als seine eigene Person", so ein Vertrauter, "er konnte das nicht mehr ertragen."

Trotz der Panne in seinem Amt, in dem ein Referatsleiter eigenmächtig die Vernichtung der brisanten Akten anordnete, fand man in den vergangenen Tagen zumindest in anderen Akten viele Details der "Operation Rennsteig" wieder. Vor allem jener Bericht, den Fromm am Freitag vergangener Woche dem Innenministerium zukommen ließ und der SPIEGEL ONLINE vorliegt, sorgte in Sicherheitskreisen für Aufregung.

Auf fünf als geheim eingestuften Seiten schildert der Verfassungsschutzpräsident die Details der Aktenvernichtung und die Hintergründe der sogenannten Operation Rennsteig, mit der die Behörde zwischen 1996 und 2003 über V-Leute die rechtsextremistische Szene in Thüringen ausleuchten wollte.

Treppe, Tobago, Tonfall, Tonfarbe, Tusche, Tinte, Terrier, Trapid

Acht Rechtsradikale engagierte das Bundesamt für Verfassungsschutz demnach für das geheime Unterfangen. Sämtliche Decknamen begannen mit T: Treppe, Tobago, Tonfall, Tonfarbe, Tusche, Tinte, Terrier, Trapid. Das, was die Schnüffler berichteten, ist heute aufgrund der Aktenvernichtung nicht mehr vollständig nachzulesen. Insgesamt sieben Akten sind Fromm zufolge vom Leiter des Referats "Forschung und Werbung" am 11. November 2011 geschreddert worden, just an jenem Tag, an dem die rechtsterroristischen Hintergründe der Morde an Einwanderern öffentlich wurden. Die Akten könnten nun "nicht mehr in vollem Umfang rekonstruiert" werden, schreibt der Verfassungsschutzpräsident. Er selbst habe von der Vernichtung erst am 27. Juni 2012 erfahren.

Laut Fromm war die Arbeit der V-Leute weitgehend ergebnislos. Die nachrichtendienstliche Qualität der Berichte sei von "nachrangiger Bedeutung", die Quellen seien ausschließlich Mitläufer und Randpersonen gewesen, schreibt er in dem Bericht: "Sämtliche damals geworbenen V-Leute haben nicht zum 'Nationalsozialistischen Untergrund' (NSU) berichtet."

Worauf diese Einschätzung fußt, ist aus dem Papier nicht wirklich ersichtlich. Fromm gibt lediglich an, dass der Beamte, der die Akten schreddern ließ, in einer dienstlichen Erklärung versicherte, sich vor dem Vernichten von den fehlenden Kontakten zum Terror-Trio überzeugt zu haben.

Wirklich vertrauenswürdig erscheint der Beamte in den Schilderungen seines Chefs allerdings nicht. Der Referatsleiter habe sich später in einem Punkt seiner Erklärung korrigieren müssen: Nach "nochmaligem Nachdenken" habe dieser nicht die Vernichtung von acht, sondern von sieben Akten angeordnet. Das Versehen habe er darauf zurückgeführt, dass in einem Fall für eine Person zwei Fallbezeichnungen vergeben worden seien.

Es ist nur eine der vielen Undurchsichtigkeiten der Aktion Reißwolf. Fromm wird zur Aufklärung des Falls noch einiges beitragen müssen. Bereits am Dienstag erwartet man von ihm im Bundesinnenministerium einen weiteren Bericht zu der Aktenlöschung in seinem Amt. Bereits jetzt wurde der verantwortliche Referatsleiter abgemahnt, gegen den kurzfristig ins Berichtswesen umgesetzten Beamten läuft ein Disziplinarverfahren.

Wer ist die Person für den Neuanfang?

Gemeinsam mit Fromm soll er am kommenden Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Es wird einer der letzten Auftritte des Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm.

Auf den Nachfolger Fromms wartet nun eine Herkules-Aufgabe. Bewaffnet mit reichlich Munition und Akten aus dem Untersuchungsausschuss fordert die Opposition zu Recht eine Reform des gesamten Geheimdienstes, eine Erklärung zu seinem Umgang mit V-Leuten und den fruchtlosen Recherchen im rechten Sumpf. Als möglicher Kandidat wurde am Montag meist Fromms bisheriger Stellvertreter Alexander Eisvogel genannt.

Ob der bisherige Vize der richtige Mann für einen echten Neuanfang ist, wurde in Berliner Regierungskreisen bezweifelt. Eisvogel soll die Aufklärung der Skandale nach Fromms Rückzug wohl nur kommissarisch leiten. Das teilte Friedrich den Obleuten des Innenausschusses telefonisch mit. Auch der Minister will sich offenbar den Spielraum für größere Veränderungen in der Behörde nicht nehmen lassen.

Und richtig beliebt dürfte der Posten als Verfassungsschutzpräsident unter den wenigen geeigneten Kandidaten ohnehin nicht mehr sein.

Von Matthias Gebauer und Veit Medick

Karl Nolle im Webseitentest
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