Agenturen, dpa, 16:20 Uhr, 04.07.2012
Kritik an Verfassungsschutz - personelle Konsequenzen zweitrangig
In der Debatte um das Versagen der Geheimdienste beim Neonazi-Terror sitzt Sachsens oberster Verfassungsschützer Reinhard Boos noch sicher im Sattel. Die Opposition will vor Konsequenzen erst eine Analyse.
Dresden (dpa/sn) - Nach den Pannen bei der Aufklärung des Neonazi-Terrors steht auch der sächsische Verfassungsschutz weiter unter Druck. Während die Linken am Mittwoch erneut den gesamten Geheimdienst infrage stellten, forderten Grüne und die mitregierende FDP eine Debatte um künftige Strukturen der Behörde. Personelle Konsequenzen in Sachsen halten die Oppositionsfraktionen zunächst für zweitrangig. «Das Problem sind nicht die Präsidenten, sondern die Geheimdienste selbst», sagte die Linke-Abgeordnete Kerstin Köditz der Nachrichtenagentur dpa: «Im Moment sieht es so aus, als stinke nicht der Fisch vom Kopf her, sondern das ganze Tier riecht unangenehm.»
Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos will an der Seite von Innenminister Markus Ulbig (CDU) an diesem Donnerstag seinen Verfassungsschutzbericht 2011 vorstellen. Dabei dürften vor allem Fragen zur Arbeit der Behörde im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im Mittelpunkt stehen.
Die Opposition sieht den Geheimdienst im Freistaat besonders in der Pflicht, weil das Trio mit Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe jahrelang unerkannt in Zwickau Unterschlupf gefunden hatte. Dem NSU wird neben Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen eine Mordserie mit zehn Toten zur Last gelegt.
In der Affäre um die Neonazi-Terrorzelle haben bisher der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Heinz Fromm, und der Thüringer Behördenchef Thomas Sippel ihr Amt verloren.
Für die Grünen geht es in erster Linie darum, Versäumnisse und Fehler gründlich zu analysieren. «Da stehen wir in Sachsen - auch wegen des fehlenden Willens von Innenminister Markus Ulbig (CDU) - erst ganz am Anfang», sagte der Abgeordnete Miro Jennerjahn. Sollten sich schwerwiegende Versäumnisse ergeben, seien auch personelle Konsequenzen nicht auszuschließen.
«Prinzipiell geht es aber nicht um Personalfragen, sondern um die Struktur des sächsischen Verfassungsschutzes an sich.» Bislang sei nicht erkennbar, dass das zuständige Landesamt nach dem Auffliegen des NSU einen nennenswerten Beitrag zur Aufklärung geleistet hätte.
«Offenkundig hat sich diese Institution so selbstständig gemacht, dass die parlamentarischen Kontrollrechte massiv gestärkt werden müssen. Wir brauchen eine komplett neue Informationskultur», sagte Jennerjahn.
«Thüringen und auch die Bundesebene sind Sachsen bei der Fehleranalyse meilenweit voraus. In Sachsen wird nicht nur die Zukunft des Verfassungsschutzes auf dem Prüfstand stehen. Auch die damals und heute Zuständigen im Bereich des Innenministeriums und der Polizei werden Verantwortung übernehmen müssen», erklärte die SPD- Parlamentariern Sabine Friedel. Der Rücktritt des Behördenchefs löse allein noch kein Problem.
FDP-Politiker Carsten Biesok findet es nach eigenen Worten unseriös, vor Abschluss der Arbeit in den Untersuchungsausschüssen im Bund und besonders in Sachsen personelle Konsequenzen beim Landes-Verfassungsschutz zu fordern. Man müsse diskutieren, ob die Struktur der Sicherheitsdienste noch geeignet sei, extremistischen und terroristischen Bestrebungen wirksam entgegenzuwirken.
Die Linke lehnte einen Vorschlag der FDP ab, den Verfassungsschutz in das Innenministerium einzugliedern. Das verbiete ein Urteil des Verfassungsgerichtes, hieß es.
Die CDU riet von «überhasteten Personaldiskussionen» ab. Boos genieße das Vertrauen der Union im Landtag, hieß es. Zugleich erhielt Innenminister Ulbig Schelte von seinem Parteifreund und Thüringer Amtskollegen Jörg Geibert. Zwar schätze er Ulbig, sagte Geibert der Wochenzeitung «Die Zeit» (Donnerstag), «aber bei ihm scheint Transparenz jetzt wohl nicht an erster Stelle zu stehen. Ich glaube nicht, dass man immer nur auf sein Nachbarland zeigen sollte.» Damit reagierte Geibert auf Äußerungen aus Sachsen, die Thüringer Behörden die Schuld an Ermittlungspannen zuweisen.
Autor: Jörg Schurig
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041620 Jul 12