welt-online.de, 19:58 Uhr, 05.07.2012
NSU Ausschuß: "Schwere Niederlage für die Sicherheitsbehörden"
Heinz Fromm sagt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aus und wählt dabei klare Worte. Eine Geheimakte weist womöglich darauf hin, dass der Verfassungsschutz doch erwog, ein NSU-Mitglied anzuwerben.
Abgeschirmt hinter grauen Aufstellwänden begann der bisher ungewöhnlichste Tag des Untersuchungsausschusses zur Neonazi-Mordserie. Auf der Präsidialebene im Reichstag löcherten die Bundestagsabgeordneten unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Verfassungsschützer, der die jüngste Eskalation in der Affäre um die Zwickauer Zelle auslöste.
Ein Mann, über den in dieser Woche bereits der oberste Verfassungsschützer gestürzt war. Konnte dieser Referatsleiter Hinweise darauf geben, warum die zehn Morde der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) (Link: http://www.welt.de/themen/nsu/) nicht verhindert werden konnten?
Warum die NSU-Mitglieder Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt jahrelang unerkannt bleiben konnten? Eben jener Referatsleiter, der im November vergangenen Jahres das Schreddern von Dokumenten über das weite Umfeld des Terrortrios angeordnet hatte – just an dem Tag, als erstmals über den NSU berichtet wurde. Nur so viel: Es gab am Donnerstag neue Spuren.
Sonderermittler soll Akten-Affäre untersuchen
Am gleichen Tag trat auch noch der höchste Vertreter des Verfassungsschutzes vor die Abgeordneten, der in diesen Tagen für Schlagzeilen sorgt. Am Nachmittag saß dort also Heinz Fromm, hoch angesehener Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der sich von seinem Beamten über den Zeitpunkt der Vernichtung von heiklen Akten hinters Licht geführt fühlt, dafür aber die politische Verantwortung übernimmt und seinen Posten räumen (Link: http://www.welt.de/107701370) wird. Als erster Sicherheitsbehörden-Chef in dieser Affäre.
Es gibt viel Denkwürdiges, was die Ausschussmitglieder derzeit mitbekommen. So durften sie erstmals ungeschwärzte Akten des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu V-Leuten einsehen. Das Bundesinnenministerium hat sogar einen hochrangigen Mitarbeiter von Minister Hans-Peter Friedrich (CSU) für den Fall abgestellt: Der Unterabteilungsleiter Verfassungsschutz, Hans-Georg Engelke, soll fortan alle Sachverhalte im Zusammenhang mit der Operation "Rennsteig" umfassend aufklären, teilte das Ministerium mit. Engelke werde seine Arbeit in der kommenden Woche aufnehmen. Die Operation "Rennsteig" diente der Anwerbung von V-Leuten im rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz". Besagter Referatsleiter ließ Akten darüber schreddern.
Das Ausmaß des Schadens für die Behörden wurde noch einmal verdeutlicht, als die türkische Regierung am Mittwochabend die Pannen bei den Ermittlungen "bedenklich" nannte. Zudem seien im Zusammenhang mit der rechtsextremen Mordserie, der zwischen den Jahren 2000 und 2006 acht türkische Staatsbürger zum Opfer fielen, nur noch zwei Verdächtige in Haft. Die Ermittlungen würden in der Türkei aufmerksam verfolgt, betonte das Außenministerium.
"Schwere Niederlage für die Sicherheitsbehörden"
Das Ansehen Deutschlands in der Türkei könnte also größeren Schaden erleiden, sollte der NSU-Ausschuss die Ermittlungspannen nicht zufriedenstellend klären können. Der 63-jährige Fromm jedenfalls sprach in klaren Worten zu den Abgeordneten. Nannte die Tatsache, dass Rechte jahrelang mordend durch Deutschland ziehen konnten, "eine schwere Niederlage für die Sicherheitsbehörden". Und erklärte von sich aus, warum die Aktenvernichtung zu viel für ihn war: "Dieser Vorgang hat zu einem schweren Ansehensverlust des BfV geführt, dessen Folgen leider nicht absehbar sind."
Schnell stellte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) die entscheidende Frage: "Warum wurden die Akten vernichtet?" Fromm schaute während der Frage aus dem Fenster, faltete die Hände, drückte schließlich auf den Mikrofonknopf: "Ich weiß nicht, ob es dafür irgendeine nachvollziehbare Erklärung geben wird." Derzeit werde geklärt, ob sogar unmittelbar Vorgesetzte von der Vernichtung gewusst hatten.
Beamter schweigt zur Aktenlöschung
Es war dieselbe Frage, die die Abgeordneten am Morgen bereits dem Referatsleiter gestellt hatten: Warum nur? Der Beamte schwieg und bezog sich aufs Zeugnisverweigerungsrecht. Sehr lange sprach der Verfassungsschützer hingegen darüber, wie die Aktenführung allgemein im Amt aussehe. Es gebe kein geordnetes Verfahren zur Aktenlöschung. Völlig selbstständig gehe man vor.
Was hatte Fromm dazu zu sagen? Er erinnerte sich: Vor drei Jahren sagte ihm ein Mitarbeiter in einem Gespräch: "Beschaffungsakten werden nicht vernichtet." So sei das im Amt.
Fromm fragte: "Gilt für Beschaffungsakten das Gesetz nicht, wonach sie mit Verweis auf den Datenschutz irgendwann vernichtet werde müssen?"
Die Frage war rhetorisch. Sie verabredeten, dass man "sukzessive" Akten aus der Vergangenheit vernichten werde. Hätte Fromm als Amtsleiter dranbleiben müssen, das Einhalten der Regeln kontrollieren müssen? Sicherlich. Aber damit hätte er auch nicht verhindern können, dass ein Mitarbeiter ein falsches Löschdatum angibt.
Sollte Zschäpe als V-Frau geworben werden?
Dafür sorgte schließlich aber der FDP-Obmann Hartfrid Wolff: Er fragte, ob der Geheimdienst darüber nachgedacht hatte, ein NSU-Mitglied anzuwerben? Fromm verneinte. Davon wisse er nichts. Schließlich präsentierte Wolff Fromm allerdings eine Geheimakte des Verfassungsschutzes. Dort soll der Anwerbeversuch einer in Katzen vernarrten Frau geschildert sein, die viel mit ihrer Oma machte – eine Beschreibung, die auf Zschäpe passen würde.
Der überraschte Fromm sichtete das Material, sagte, es gebe zwar einen Ausschlussgrund. Man müsse dies nun allerdings prüfen. Eine heiße Spur für weitere Verschwörungstheorien lieferte Fromm also nicht. Ausräumen konnte er sie allerdings auch nicht.
Ein Dementi der Theorie von Zschäpe als V-Frau lieferte anschließend Edathy: "Diese Spekulation entbehrt jeder Grundlage", erklärte er. Keine der insgesamt 49 Personen, die in den einschlägigen Akten des Bundesverfassungsschutzes auftauchten, habe in Jena gelebt und "keine einzige dieser 49 Personen trug den Namen Beate Zschäpe", fügte Edathy hinzu.
Zweifel an Rolle von Verfassungsschützern
Und dann kochte auch noch ein längst bekannter Fall wieder hoch, der Zweifel an der Rolle von Verfassungsschützern aufkommen ließ. 2006 ereignete sich in Kassel einer der Morde an Migranten, die dem NSU zugeschrieben werden: Die Terroristen sollen damals den 21-jährigen Halit Yozgat ermordet haben. Am Tatort war ein Verbindungsmann des hessischen Verfassungsschutzes anwesend. Das warf viele Fragen auf.
Die "Zeit" protokollierte am Donnerstag noch einmal genau die Umstände der Tat in Kassel und stellte forsch die Frage, ob der Verfassungsschützer an dem Mord beteiligt gewesen sein könnte. Dagegen zitierte die "Süddeutsche Zeitung" jenen Andreas T., der sich als Opfer falscher Anschuldigungen fühlt.
Auch die Bundesanwaltschaft hat bisher keine Hinweise auf eine Tatbeteiligung gefunden. Der Untersuchungsausschuss will T. dennoch anhören – voraussichtlich im September. Auf Betreiben von FDP und Grünen habe man beschlossen, "Herrn T. nun endlich zu laden", sagte Wolff "Welt Online".
Er gehe zwar nicht davon aus, dass T. des Mordes schuldig ist, "aber ich glaube, dass er wesentliche Informationen in diesem Fall verschweigt". Wolff betonte: "Sein Verhalten nach der Tat ist schlicht unglaubwürdig und hinterlässt einen verheerenden unaufrichtigen Eindruck."
Bouffier will Rede und Antwort stehen
Auch im September wird wohl der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier im Ausschuss auftreten. Er habe zwar noch keine Vorladung bekommen, teilte der CDU-Politiker mit, kündigte aber an: "Ich werde alles, was mir möglich ist, darlegen."
Bouffier war hessischer Innenminister, als der Mord in Kassel passierte. Bouffier verweigerte damals, dass Polizei und Staatsanwaltschaft den Verbindungsmann direkt vernehmen durften. Das wirft Fragen auf (Link: http://www.welt.de/107761952) .
"Das, was praktiziert worden ist, war rechtmäßig", sagte ein zerknirschter Fromm bei seiner Aussage. "Rechtmäßig, aber nicht sinnvoll?", hakte Edathy nach. Fromm blieb nur ein "Ja".
Von Manuel Bewarder , Florian Flade und Uwe Müller