welt.de, 21:19 Uhr, 13.09.2012
Mundlos-Akte - De Maizière gerät in den Strudel der NSU-Affäre
Bislang galt Thomas de Maizière als tadelloser Minister. Doch jetzt fällt ein Schatten auf Merkels Musterschüler. Grund dafür sind heikle Unterlagen über den Rechtsterroristen Uwe Mundlos.
Kein anderer Spitzenpolitiker kennt sich so gut mit der Nachrichtenszene in Deutschland aus wie der ehemalige Innenminister und heutige Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Doch ausgerechnet er hat nun beim Umgang mit heiklen Unterlagen gepatzt.
Anfang dieser Woche war bekannt geworden, dass der ihm unterstellte Militärische Abschirmdienst (MAD) schon im Frühjahr von einer Akte über Uwe Mundlos, das spätere Mitglied des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), gewusst hatte.
Schnell kam heraus, dass auch der CDU-Politiker eingeweiht war. Hätte die ganze Welt nicht nach Karlsruhe auf das Urteil zur Euro-Rettung geguckt – de Maizière wären weit mehr negative Schlagzeilen gewiss gewesen.
Mittlerweile hat der Umgang mit der Mundlos-Akte sogar zu einem Rücktritt geführt: Der Chef des Landesverfassungsschutzes von Sachsen-Anhalt, Volker Limburg, wurde auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt – einen Tag nachdem Mitarbeiter des Landesamtes eine Kopie der MAD-Akte zu Mundlos im eigenen Archiv entdeckt hatten. Nachfolger soll Jochen Hollmann , der stellvertretende Leiter des Landeskriminalamtes und Chef des Staatsschutzes der Regierung, werden. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) schlug ihn vor.
Trittin fordert Auflösung der Geheimdienste
Linke und Grüne wie Fraktionschef Jürgen Trittin fordern bereits eine Auflösung aller Geheimdienste. Das geht den meisten jedoch noch zu weit. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte dazu der "Welt": "Es ist absurd, dass Bundespolitiker und Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses alle Nachrichtendienste pauschal zur Disposition stellen."
Damit werde in "unverantwortlicher Weise" das Ansehen der deutschen Sicherheitsbehörden beschädigt. "Diese selbstzerstörerische Diskussion muss aufhören."
Doch im Kreuzfeuer der Kritik steht der Bundesverteidigungsminister: Die Abgeordneten des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Pannenserie bei den NSU-Ermittlungen sind von de Maizières Verhalten empört. Und zwar parteiübergreifend.
Selbst CDU-Obmann Clemens Binninger sagte: "Es ist nicht zu erklären, warum solch ein Hinweis nicht mitgeteilt wurde." Auf Nachfragen habe niemand die Unterlagen erwähnt. In Unionsreihen fragt man sich laut: Wieso konnte ausgerechnet de Maizière ein solcher Fehler unterlaufen?
Wie konnte de Maizière das passieren?
Als Angela Merkels Kanzleramtschef war er von 2005 bis 2009 für die Fachaufsicht des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND zuständig.
In der zuständigen Abteilung 6 des Kanzleramtes kümmern sich Heerscharen von Beamten um eine einvernehmliche Zusammenarbeit mit dem Bundestag – insbesondere mit den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), die neben dem Pullacher BND auch den MAD und das ebenfalls in Köln beheimatete Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kontrollieren.
Als Bundesinnenminister stand Thomas de Maizière schließlich von 2009 bis 2011 dem BfV vor. Seit seinem Wechsel in das Verteidigungsressort ist er für den Bundeswehrnachrichtendienst MAD verantwortlich. Von daher musste der Routinier ganz genau wissen, welche Provokation es bedeutete, dem Ausschuss Unterlagen vorzuenthalten.
Der Minister entschuldigt sich
Das Vorgehen seines Hauses, das seit März von der Existenz der Akte wusste, nannte de Maizière zwar "unsensibel". Sich selbst sparte der Minister zunächst aber von Kritik aus. Das sei die Sache des zuständigen Referenten gewesen, wiegelte ein Sprecher ab.
Doch inzwischen hat der Minister seinen Fehler eingeräumt: Das Verteidigungsministerium hätte den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages "zusätzlich direkt" über die Akte informieren müssen, sagte de Maizière der "Bild"-Zeitung "Das ärgert mich selbst am allermeisten. Wir hätten diesen Hinweis veranlassen müssen" betonte der Minister am Donnerstag. Allerdings hätten sich sowohl der MAD als auch das Verteidigungsministerium formal korrekt verhalten.
Edathy ein wenig versöhnlich?
Ein Stück weit versöhnlich klang auch, wovon der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), berichtete: Der Minister habe sich bei ihm bereits am Mittwoch am Rande der Haushaltsdebatte "ein Stück weit entschuldigt. Er hat gesagt, es sei unsensibel gewesen, uns nicht zu unterrichten."
Jedoch: Das reiche nicht aus, sagte Edathy. Der Ausschuss überlegt nun, ob de Maizière als Zeuge geladen werden soll. Das wäre politisch brisant, weil sich ein amtierender Bundesminister den bohrenden Fragen der Abgeordneten stellen müsste.
Bisher rollen sie vor allem Vorgänge auf, die länger her sind. Im Oktober soll zwar auch Wolfgang Schäuble (CDU) befragt werden. Es wird dabei aber nicht um seine aktuelle Arbeit als Finanzminister gehen, sondern um seine Zeit als Chef des Innenressorts.
Für de Maizière könnte die Affäre also brenzlig werden. Vor dem jetzigen Rücktritt des Verfassungsschutzchefs von Sachsen-Anhalt mussten bereits die Präsidenten der Landesämter in Thüringen und Sachsen gehen.
Bisher wälzte de Maizière die Verantwortung ab
Auch der Leiter des BfV, Heinz Fromm, wurde von einem Mitarbeiter über den Löschvorgang von Material zum NSU-Umfeld belogen. Immer waren es Akten-Pannen. Die einen übernahmen die Verantwortung und verließen ihre Posten. De Maizière wälzt die Verantwortung bisher ab.
Es gehört nicht zu den Stärken des Verteidigungsministers, sich Fehler einzugestehen. Der 58-Jährige gilt als eines der fähigsten Kabinettsmitglieder. Er ist Vertrauter der Kanzlerin und springt dort ein, wo seine Fähigkeiten gerade gebraucht werden.
Als das Verteidigungsressort kurzfristig neu besetzt werden musste, fiel die Wahl auf ihn. Manche trauen ihm auch mehr zu. Zu Beginn des Jahres hielten ihn viele sogar für einen geeigneten Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Für de Maizière könnte es noch weit nach oben gehen.
Doch nun müssen zunächst die genauen Umstände rund um die Mundlos-Akte aufgeklärt werden. Kanzlerin Merkel sagte mit Blick auf die Aktenpanne: Die Regierung werde alles tun, "um die Dinge aufzuklären".
Die nächste Aktenpanne deutet sich übrigens bereits an. Unionsobmann Binninger sagte, der Ausschuss habe erfahren, dass im Land Berlin bereits 2002 ein Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort der NSU-Mitglieder vorgelegen habe. Die Information wurde dem Ausschuss aber nicht weitergeleitet.
Von Manuel Bewarder , Martin Lutz und Uwe Müller