DNN/LVZ, 18.09.2012
Neonazi-Terror ein "Ostphänomen"? Der U-Ausschuss im Landtag vernimmt zwei Rechtsextremismus-Experten - und den neuen Chef beim Verfassungsschutz
Dresden. Wenn Untersuchungs-Ausschüsse im Landtag zusammenkommen, dann ist der Start nicht selten holprig. So auch gestern wieder: Pünktlich um 10 Uhr versammelten sich die Mitglieder des Gremiums im sechsten Stock des Neubaus, umringt von Kameraleuten und Fotografen. Doch sofort wurden Gäste und Zuhörer des Saales verwiesen, auf dem Programm stand eine Auszeit zwecks Beratung. Grund: Der neue Chef des sächsischen Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath, sollte außerplanmäßig vernommen werden, in geheimer Sitzung.
Auslöser dafür war die Nachrichtenlage der vergangenen Tage, vor allem die Tatsache, dass ein führender Neonazi aus Chemnitz als V-Mann fürs Berliner Landeskriminalamt (LKA) gespitzelt hat. Dabei handelt es sich um den wegen Körperverletzung vorbestraften Aktivisten Thomas S., der unter anderem Sprengstoff an das Terror-Trio geliefert haben soll - eine Meldung von einiger Brisanz.
Schließlich kamen dann doch die beiden Rechtsextremismus-Experten an die Reihe, die laut Protokoll befragt werden sollten. Der eine heißt Uwe Backes und kommt vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut. Sein Tenor lautete: Unmittelbar nach der Wende konnte die extreme Rechte im Osten nur zögerlich Fuß fassen, spätestens ab 1998 registrierten die Forscher aber eine Trendwende. Zunehmend stießen Neonazis auf Zuspruch in den neuen Ländern, nicht nur, aber vor allem in Sachsen. Das betreffe zum einen die rechtsextreme NPD, zum anderen die Neonazi-Subkultur samt ihrer militanten Ableger. Fazit: Die Gefahr von Rechtsterrorismus sei im Osten höher als im Westen.
Als Erklärung für dieses Phänomen bemühte Backes ein altes Denkmuster. Der Anstieg des Rechtsextremismus im Osten sei auch eine Spätfolge der DDR - obrigkeitsstaatliches Denken, kulturelle Abschottung, Frust. Andrea Röpke, die zweite Referentin, sah das ein wenig anders. Für die Journalistin, die seit langem im Bereich Rechtsextremismus recherchiert, ist der militante Rechtsextremismus "kein Ostphänomen". Vielmehr habe die gewaltbereite Neonazi-Szene eine lange Tradition - im Westen. So existierten bereits Ende der siebziger Jahre sogenannte Wehrsportgruppen, auch gab es Attentate wie jenes beim Münchner Oktoberfest 1980 mit 13 Toten und 200 Verletzten.
Hieran konnte die Szene im Osten anknüpfen, die Anhänger von Blood & Honour, Combat 18 oder der Weißen Bruderschaft Erzgebirge zum Beispiel. Ohne dieses militante Hinterland seien die Morde des Terror-Trios kaum zu erklären, und nicht zufällig stammte der Chemnitzer Sprengstofflieferant und LKA-Zuträger Thomas S. aus diesem Milieu. Allerdings hätten die Behörden die "Hintergrundstrukturen zu wenig wahrgenommen", so Röpkes zentrale These. Begründung: Die Dienste hätten sich auf die NPD als Partei konzentriert und dabei das logistische und ideologische Umfeld nicht konsequent verfolgt.
Jürgen Kochinke