Karl Nolle, MdL

welt.de, 9:16 Uhr / Die Welt Seite 6, 13.10.2012

LfV Sachsen: Die heikle Verfassungsschutz-Operation "Terzett"

 
Geheime Akten des sächsischen Verfassungsschutzes zeigen: Eine Abhörmaßnahme gegen NSU-Mitglieder lief bis 2010. Die Verfassungsschützer hatten die Terrorzelle länger im Visier als bisher bekannt.

Die Sicherheitsbehörden haben die Mitglieder der Neonazi-Zelle NSU (Link: http://www.welt.de/themen/nsu/) nach ihrem Abtauchen viel länger im Visier gehabt als bisher bekannt. Das geht aus streng geheimen Akten des sächsischen Verfassungsschutzes zur Operation "Terzett" hervor, von denen die "Welt" erfahren hat.

Demnach schlossen die Behörden eine im Mai 2000 durchgeführte Abhörmaßnahme erst im November 2010 auch formal ab, also genau ein Jahr vor dem Auffliegen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Die Papiere belegen zudem, dass die sächsischen Verfassungsschützer über die Jahre hinweg wiederholt Anhaltspunkte für schwere rechtsextremistische Straftaten sowie verfassungsfeindliche Aktivitäten sahen. Deshalb konsultierten sie beispielsweise im Jahr 2003 die Kollegen in Bayern und planten die Beobachtung des "Terzetts", wie das Trio damals genannt wurde, sowie von vier mutmaßlichen Unterstützern.

Selbst im Sommer 2006, als die staatsanwaltschaftlichen Verfahren gegen Zschäpe und Mundlos längst eingestellt waren, wollte der damalige Präsident des Dresdner Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) keine Entwarnung geben.

Nicht von dem Lauschangriff unterrichtet

Die Korrespondenz zu dem Vorgang verlief zwischen den Spitzen des sächsischen LfV und des Innenministeriums des Landes. Weil es sich bei der Abhöraktion um eine sogenannte G-10-Maßnahme handelte, war stets auch das geheimste parlamentarische Gremien des Freistaates eingeschaltet: die G-10-Kommission des Landtages. Sie entscheidet darüber, ob das im Artikel 10 des Grundgesetzes den Bürgern garantierte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt werden darf. Das passiert bundesweit äußerst selten, der Verdacht muss schon sehr schwer wiegen.

Das Gremium hatte nicht nur die Abhöraktion gegen das Trio und vier ihrer Unterstützer genehmigt, sondern auch zugelassen, dass die davon Betroffenen nicht wie vorgeschrieben nach drei Monaten von dem Lauschangriff unterrichtet wurden.

Das ist laut Gesetz nur dann erlaubt, wenn die Gefahr besteht, dass eine solche Mitteilung den Erfolg der Überwachung zunichte macht.

Alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft

Die Operation legt die Vermutung nahe, dass zumindest die Sicherheitsbehörden in Sachsen bereits vor zwölf Jahren ahnten, welche Schreckensbilanz das Trio einmal aufweisen könnte. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) wird für zwei Sprengstoffanschläge, 18 Banküberfälle und neun Morde an Migranten sowie die Hinrichtung einer Polizistin verantwortlich gemacht.

Die Details zum Vorgang "Terzett" zeigen auch, dass die Sachsen bei der Suche nach den Neonazis nicht locker ließen. Sie schöpften alle rechtlichen Möglichkeiten aus, um den Rechtsextremisten auf die Spur zu kommen.

Zunächst machten die sächsischen Behörden durchaus vieles richtig. Dass sie es mit einer Mörderbande zu tun hatten, konnten sie nicht wissen. Aber die Verfassungsschützer nahmen bereits in dem Antrag zur Überwachung des Trios und seines Umfeldes Struktur und Ziel des NSU überraschend genau vorweg: "Die Betroffenen stehen im Verdacht, Mitglieder einer Vereinigung zum Begehen von Straftaten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und schwerer rechtsextremistischer Straftaten zu sein und drei flüchtige Straftäter in der Illegalität zu unterstützen."

Insgesamt 13 Beschuldigte im NSU-Verfahren

Schon damals schien klar, dass die abgetauchte Gruppe nicht alle Kontakte abbrechen konnte und auf Unterstützer angewiesen sein musste. Im NSU-Verfahren der Bundesanwaltschaft werden mittlerweile 13 Beschuldigte geführt.

Ein Blick auf die Namen der von der G-10-Maßnahme Betroffenen zeigt, wie präzise die Sachsen schon 2000 das Umfeld des Trios eingekreist hatten: Drei der vier damals Abgehörten sind heute Beschuldigte im NSU-Verfahren. Einer von ihnen ist Thomas S., der jüngst als V-Person des Berliner Landeskriminalamtes enttarnt wurde.

Einst war er Liebhaber von Zschäpe und besorgte Sprengstoff für das Trio. Nach ihrem Abtauchen klopften sie zuerst beim ihm an die Tür. Auch Mandy S., eine Friseurin aus Sachsen, verschaffte dem Trio eine Unterkunft bei einem Freund in Chemnitz. Jan W. schließlich steht im Verdacht, dem Trio noch im Jahr 2002 Waffen besorgt zu haben – wofür es bisher keinen Beleg gibt. Allein der Ex-Rechtsrocker Andreas G. ist heute nicht beschuldigt.

Sprengstoffdelikte des Trios verjährt

Die Ermittler hatten bei einer vorangegangenen Abhöraktion bereits Hinweise erhalten. "Es geht den Dreien gut", erfuhren sie beispielsweise durchs Mitlauschen.

Ein erneuter Versuch erschien vielversprechend. Doch diesmal waren die Erkenntnisse spärlich. Nichts über die Drei. Nichts aus ihrem Mund. Aber ob dabei Fehler gemacht und möglicherweise auch Informationen nicht sorgfältig genug ausgewertet wurden, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

Die Sachsen waren sich dennoch recht sicher, dass sie die richtige Spur verfolgten: In einem Entwurf des LfV für das Innenministerium vom 12. Oktober 2000 wird erklärt: "Wegen fortdauernder Ermittlungen soll die Benachrichtigung der Betroffenen nicht erfolgen."

In den kommenden Jahren wurde diese Haltung immer wieder bekräftigt und die Maßnahme nicht beendet. Nachdem 2003 Sprengstoffdelikte des Trios verjährt waren, schrieben die Verfassungsschützer an ihren damaligen Landesinnenminister Horst Rasch: "Da eine weitere Beobachtung der sieben Betroffenen beabsichtigt ist, soll keine Mitteilung über die G-10-Maßnahme erfolgen."

Keine Antwort auf "Detailfragen"

Auch 2006 wurde die Benachrichtigung der Betroffenen abgelehnt. Der LfV-Präsident schickte dem übergeordneten Ministerium einen Vermerk: "Es soll keine Mitteilung erfolgen, weil es dadurch zur Gefährdung des Zweckes der Beschränkung käme."

Das wirft Fragen auf: Welche Erkenntnisse hatten die Ermittler, die so vielversprechend waren, dass man bei einer so sensiblen Sache wie einer G-10-Maßnahme die üblichen Regeln beiseite ließ? Was veranlasste die kontrollierenden Parlamentarier der G-10-Kommission, die Verlängerungen der Aktion immer wieder durchzuwinken? Auf Anfrage sagte der Verfassungsschutz der "Welt", man könne zu "Detailfragen" aus rechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen.

Aus den Akten ergibt sich: Irgendwann hatten die Behörden die Hoffnung aufgegeben, die drei noch zu finden. Mittlerweile sei keine Gefährdung des Zweckes der Maßnahme mehr zu erwarten, schrieb das LfV im Mai 2009: "Sinn und Zweck der Gruppe ist durch Verjährung nicht mehr gegeben." Es ist eine Kapitulationserklärung.

Im folgenden Oktober wurden schließlich die vier mutmaßlichen Unterstützer des Trios über die neun Jahre zurückliegende Abhörmaßnahme informiert.

Dann wurde es kurios

Natürlich mussten auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Bescheid bekommen. Und nun wurde es kurios. Die Adressen der drei hatten die Sachsen ja nicht.

Was also tun? Gleich zwei Mal, 2009 und 2010, fragten die Verfassungsschützer deshalb bei den anderen 15 Landesämtern und dem Bundesamt nach: "Wir bitten ... um Ermittlungen zur Feststellung der Aufenthaltsorte oder Wohnsitze der genannten Personen und um entsprechende Mitteilung." Doch die Antwort lautete überall: Fehlanzeige.

Die Sachsen versuchten es sogar beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg. Die erfolglose Bilanz meldete das LfV dem Ministerium. Dies erklärte am 30.11.2010, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht benachrichtigt werden könnten. Die Abhörmaßnahme "Terzett" war damit abgeschlossen. Ein Jahr später flog das Trio auf.

Von Manuel Bewarder , Martin Lutz und Uwe Müller

Karl Nolle im Webseitentest
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