Karl Nolle, MdL

Der Spiegel 46/2012, Seite 36, 12.11.2012

Schönwetterpilot im Regen - Die Staatsanwaltschaft Leipzig wird offenbar weitere Vorstände der einstigen Landesbank anklagen. Ein Gutachten wirft den Bankern vor, in der Krise versagt zu haben.

 
Gutachten in Finanzsachen sind in der Regel eine undankbare Lektüre. Weil es dann schon mal seitenweise um „Synthetic Assets" gehen kann, den Ausgleich von „Issuer Portfolio Loss Amounts" oder die Risiken durch „zunehmende Volatilitäten der ABS-Credit Spreads".

Dass Gutachten aber auch amüsanter Lesestoff sein können, belegt eine 556 Seiten starke Expertise der Kanzlei Freshfields und der Wirtschaftsprüfer von Deloitte. Denn darin ist von einem Bankvorstand zu lesen, der in der Krise „das Bild eines Schönwetterpiloten" abgegeben habe, der mit Volllast ahnungslos auf ein Sturmtief zugerast sei und die „galoppierende" Flucht der Anleger schlicht ignoriert habe.

Selten wurden hochrangige Bankmanager mit derart klaren Worten abgewatscht. Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig sorgt das Gutachten deshalb auch für
Hochstimmung. Die Finanzfachleute sollten im Auftrag der Ermittler mögliche Pflichtverletzungen von Vorständen der ehemaligen Sachsen LB untersuchen und den entstandenen Schaden beziffern.

Fünf Jahre nach dem Beinahe-Zusammenbruch der Bank beginnt nun der strafrechtliche Schlussakt: Anfang kommenden Jahres wird auf Grundlage des Gutachtens mit einer Anklage wegen Untreue gegen fünf ehemalige Vorstände gerechnet.

Die Experten jedenfalls kommen zu dem Schluss, dass die akute Krise der sächsischen Landesbank im Jahr 2007 vom Vorstand hätte abgefedert werden können. Hätte er etwa mit der Vorsicht von großen Geldinstituten wie Deutsche Bank oder Merrill Lynch gehandelt, dann, so die Gutachter, hätte er im März 2007 einen radikalen Kurswechsel vornehmen müssen - und können. Selbst im Juli 2007 sei es wohl noch möglich gewesen, die von den Sachsen in Dublin im großen Stil gekauften langfristigen Auto-, Studien-und Immobilienkredite, die sie bis zur Subprime-Krise durch kurzfristige Anleihen finanzierten, gegen künftige Marktwertverluste abzuschirmen.

Die Gutachter verweisen in ihrem Papier auf erste Schwächetendenzen des amerikanischen Immobilienmarkts Ende 2006. Und im folgenden Frühjahr hätten sich in den USA bereits die enormen Zahlungsausfälle bei Subprime-Krediten bemerkbar gemacht. Es waren die ernsten Vorläufer der Bankenkrise. Deshalb hatte die Bundesbank die Sachsen im März 2007 aufgefordert, ihr US-Risiko aktuell einzuschätzen. Doch statt fortan Vorsicht walten zu lassen, stockten die Landesbanker ihre toxischen Papiere noch auf.

Bis nach Leipzig hatte sich die Gefahr offenbar nicht herumgesprochen. Was sich zu jener Zeit in der Sachsen LB abspielte, illustriert eine Sitzung des Verwaltungsrats vom i6. Juli 2007, die im Gutachten beschrieben wird: Vorstandschef Herbert Süß referierte damals zur Geschäftsentwicklung und räumte ein, dass der Bereich Capital Markets von den Entwicklungen der Zinsen und des Marktes betroffen seien. Doch zugleich behauptete er: Probleme im Immobilienbereich beträfen die Sachsen LB nicht. Und ein weiterer Vorstand assistierte: Man habe vor allem in erstklassige Risiken investiert, es sei aber derzeit schwierig, Geld im Kapitalmarkt zu verdienen.

Vier Wochen später, am 17. August, musste die Bank öffentlich bekanntgeben, dass sie ein Subprime-Problem habe. Spätestens sechs Tage danach wäre sie zahlungsunfähig gewesen. Sie wurde schließlich notverkauft, die Landesbank Baden-Württemberg griff zu.

Die Gutachter wägen in ihrem Schriftsatz ab, ob nun „tatsächlich Ahnungslosigkeit oder nicht vielleicht Rat-und Planlosigkeit" das Verhalten mancher Vorstände prägte. Jedenfalls habe sich der Kapitalmarktvorstand „fassungslos erstaunt" über die Risiken gezeigt, als die Sachsen plötzlich auf komplexen Kreditpapieren im Umfang etlicher Milliarden Euro sitzenblieben. Die Vorstände, so das Fazit, hätten sich nicht genügend über ihre riskanten Geschäfte im Ausland informiert. Der von ihnen verursachte Schaden wird mit 114 Millionen Euro netto beziffert.

Die Anwälte der Betroffenen wollen das Gutachten nicht kommentieren. Den Vorwurf der Untreue weisen sie aber zurück. Aus ihrer Sicht werden es die Ermittler schwer haben, den Bankern Vorsatz bei ihrem Blindflug in die Krise nachzuweisen.

Der tatsächliche Preis für das Bankendebakel wächst unterdessen ständig. Zunächst wurde die Sachsen LB kurz vor dem Zusammenbruch unter Wert verkauft. Dann hat der Freistaat bis heute 429 Millionen Euro für Zahlungsausfälle in Dublin leisten müssen - viele weitere Millionen werden folgen. Mit bis zu 2,75 Milliarden Euro könnten die Sachsen am Ende für die riskanten Geldgeschäfte haften.

Landesbank in Leipzig 2007: Mehr als 20 Millionen Euro für Anwalts- und Gerichtskosten

Teuer ist auch der Rechtsstreit an sich. Allein das Gutachten, an dem die Experten 19 Monate lang arbeiteten, kostet den Steuerzahler mindestens 1,8 Millionen Euro. Hinzu kommen Anwalts- und Gerichtskosten des Freistaats rund um den Beinahe-Crash, die im April bereits bei 19,5 Millionen Euro lagen. Eine wahre Flut von Prozessen hat das Land inzwischen losgetreten, deren Ausgang weitgehend offen ist. Verklagt wurde etwa die Manager-Haftpflichtversicherung der Vorstände, die für den Schaden nicht aufkommen will. Vorigen Freitag bestätigte ein Gericht vorerst den Haftungsfall. Die Versicherer müssen danach bis zu 5o Millionen Euro zahlen, wenn die laufenden Zivilklagen gegen diverse Ex-Vorstände erfolgreich sind.

Vor Gericht verantworten müssen sich bereits drei ehemalige Bosse aus der Anfangszeit der Bank und ehemalige Mitarbeiter, denen Untreue, Bilanzfälschung, beziehungsweise Beihilfe dazu, vorgeworfen wird. Die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers haben hingegen eitlem Vergleich zugestimmt. Wegen fehlerhafter Jahresabschlüsse haben sie 40 Millionen Euro an das Land überwiesen.

Offen ist, ob sogar Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU) von der Staatsanwaltschaft behelligt wird. Grund ist eine Strafanzeige von zwei Abgeordneten der Opposition wegen des Verdachts ler Untreue. Der Minister habe versäumt, so der Vorwurf, gegen ehemalige Verwaltungsräte der Bank zu klagen. In ler Tat wurden gegen das überwiegend mit verdienten Politikern besetzte Aufsichtsgremium keine Regressforderungen erhoben, obwohl juristische Berater diese empfohlen hatten.

Gehen sächsische Politiker mit ihresgleichen weniger streng um als mit Bankmanagern? In einer früheren Expertise wurde sechs Verwaltungsräten, die gleichzeitig im Kreditausschuss der Bank saßen, vorgehalten, Kreditentscheidungen zugunsten der Dubliner Aktivitäten unzureichend geprüft zu haben. Unter den Betroffenen sind ein ehemaliger CDU-Finanzminister, ein CDU-Bürgermeister, ein einstiger SPD-Staatssekretär und zwei hochrangige Sparkassenfunktionäre.

Unland argumentiert, er werde bei den honorigen Räten kaum Geld eintreiben können. Mit Klagen „würde der Freistaat Sachsen schlechtem Geld gutes Geld hinterherwerfen". Allein die Anwaltskosten würden das Privatvermögen der Betroffenen derart schmälern, dass zum Vollstrecken nicht viel übrig bleibe.
Das ist bei manchem Banker freilich ähnlich.

von Steffen Winter

Karl Nolle im Webseitentest
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