spiegel-online, 19:33 Uhr, 31.01.2013
Verfassungsschutz und NSU - Der Feind hört mit
Die Aussagen bringen den Verfassungsschutz in die Bredouille: Bei einer Razzia im Haus des Neonaziführers Thorsten Heise entdeckte der Staatsschutz Tonbandaufzeichnungen. In einem mitgeschnittenen Gespräch plaudert der enttarnte V-Mann Tino Brandt offen über die Geheimdienste.
An einem trüben Tag im Oktober 2007 rückte das Bundeskriminalamt im thüringischen Fretterode an. Mit mehr als hundert Beamten und schwerem Gerät durchsuchten die Ermittler der Abteilung Staatsschutz das historische Gutshaus des damaligen NPD-Vorstandsmitglieds Thorsten Heise. Denn der Rechtsextremist stand wieder einmal im Verdacht, volksverhetzende CDs produzieren zu lassen.
Heise, ein gelernter Kommunikationselektroniker aus Göttingen, galt und gilt als eine der wichtigsten rechten Führungsfiguren in Deutschland. So lässt sich zum Beispiel in einem Papier des Verfassungsschutzes nachlesen, wie sich auch die mutmaßlichen Unterstützer des Terrortrios "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) immer wieder hilfesuchend an Heise wandten: Mal sollte er angeblich gefragt werden, ob sein Anwesen den Untergetauchten als Versteck dienen könnte, dann wieder, ob seine Kontakte ins Ausland vielleicht nützlich wären.
Am Ende ihrer stundenlangen Durchsuchung an jenem Oktobertag, in deren Verlauf sie sogar Steinquader des historischen Guthauses hatten anheben lassen, wähnten sich die Staatsschützer am Ziel: Sie fanden eine Pistole FN 10/22, Kaliber 7,65 Millimeter, die zusammen mit 38 Patronen hinter einem Spiegel im Schlafzimmer lag. Sie stellten eine in ihre Einzelteile zerlegte Maschinenpistole Uzi, Kaliber 9 Millimeter, sicher. Und schließlich nahmen die Beamten aus dem hauseigenen Museum noch ein historisches Maschinengewehr 34, Kaliber 7,92 Millimeter, mit.
Überraschende Aufnahmen
Weniger ins Gewicht fielen da zunächst die drei Kassetten aus einem Diktiergerät, die ebenfalls beschlagnahmt wurden. Lange Zeit blieben sie unbeachtet, erwartete doch kein Staatsschützer Brisantes auf den Bändern. Als sie schließlich doch ausgewertet werden sollten, stellten die Ermittler fest, dass ihnen ein entsprechendes Abspielgerät fehlte. Die Beschaffung der passenden Technik nahm noch einmal einige Zeit in Anspruch, so dass die Kriminalisten erst im Mai 2009 schließlich den Plaudereien Heises lauschen konnten. Im Rahmen der Ermittlungen zur Terrorserie des NSU, wertete das BKA die Bänder im November 2012 erneut aus und fertigte Wortprotokolle der Aufzeichnungen an.
Wie sich herausstellte, hatte Heise heimlich Gespräche mit Gleichgesinnten aufgenommen, darunter auch die Treffen mit Tino Brandt - Kopf des Neonazi-Netzwerks "Thüringer Heimatschutz" (THS), später führender NPD-Mann, der unter dem Decknamen "Otto" von 1994 bis 2001 als V-Mann für den Thüringer Verfassungsschutz arbeitete.
Der Inhalt der Gespräche ist brisant - und aufschlussreich. Einmal mehr deuten sie auf Schwachstellen der deutschen Sicherheitsarchitektur hin: Konkurrenzkampf zwischen Polizei und Verfassungsschutz sowie Neid und Misstrauen innerhalb der Geheimdienste.
"Man hat Kohle bekommen von denen"
Bei einer Unterhaltung mit Brandt am 20. Januar 2007 kommt Heise dem Protokoll zufolge schnell zur Sache: Wie das so mit dem Thüringer Verfassungsschutz bei ihm gelaufen sei, will er wissen. Man habe ihm damals "Antifazeitungen" mitgebracht, die der Neonazi-Szene nicht zugänglich gewesen seien und ihm angeboten, noch mehr solches Material zu liefern, antwortet Brandt. Insgesamt sei die Atmosphäre sehr locker zwischen ihm und seinem V-Mann-Führer gewesen. "Und dann hat sich das alles entwickelt, man hat Kohle bekommen von denen", erzählt Brandt. Bis zu 200.000 D-Mark soll der THS-Führer insgesamt kassiert haben.
Bis heute propagiert Brandt, er habe dieses Geld in den Aufbau der rechten Szene gesteckt. Das meiste davon übergab ihm V-Mann-Führer Reiner Bode aus der sogenannten Beschaffungskasse. Bode sagte im Thüringer NSU-Ausschuss, Brandt habe weitaus mehr in die eigene Tasche gesteckt, als er zugebe. "Er war sehr großzügig zu sich selbst und ein Junkie, was das Geld angeht."
Heise interessiert sich für jedes Detail, das ergeben die Tonbandaufnahmen. Er will wissen, wie der Verfassungsschutz arbeitet. Brandt erteilt Auskunft: Einmal die Woche hätten sich Verfassungsschützer, hochrangige Polizeibeamte und Mitarbeiter des Innenministeriums getroffen und ausgetauscht. "So und da ich ja nun ununterbrochen aufgetaucht bin, hat dann das Landesamt für Verfassungsschutz mein Auto observieren lassen", erzählt Brandt und gibt umgehend seine aktuelle Einschätzung zum Besten: "lch glaube, heute ist das anders, die Behörden arbeiten doch enger zusammen. (…) Früher war es so, jedes Amt war eifersüchtig aufeinander, wollte Informationen und Quellen möglichst schützen."
Konspirative Tipps vom Geheimdienst
Verfassungsschützer würden nie eine Quelle preisgeben, behauptet Brandt. "Das heißt viele Sachen haben einfach auch nur deswegen funktioniert, weil man wusste, wie der Dienst funktioniert. Der Dienst hat eigentlich ein ganz wichtiges Motto, das heißt Quellenschutz."
Brandt gefällt sich offensichtlich in der Rolle des erfahrenen V-Mannes und erklärt Heise laut den Aufzeichnungen: Die Szene wisse genau, wie der Verfassungsschutz arbeite und seine Quellen schütze: "Das Landesamt hat nur ein Interesse: Information. Pure Information."
Heise interessiert sich besonders für die Zusammenarbeit der konkurrierenden Verfassungsschützer auf Landes- und Bundesebene - und auch da hat Brandt als "Otto" seine Erfahrungen gesammelt: Einmal hätten sie ihn "auf Arbeit" angerufen. Brandt arbeitete damals als Kaufmann bei dem rechtsextremistischen Verlag "Nation und Europa" in Coburg. "Wir können erstmal nicht mehr bei Dir anrufen, weil Handy und Dings ist Papi", zitiert Brandt. Das habe bedeutet, das Landeskriminalamt hänge mit drinnen oder eben der Bundesverfassungsschutz.
Das Vertrauensverhältnis war - zumindest von Seiten des Verfassungsschutzes zu seinem V-Mann - innig: Zur sicheren Kommunikation habe ihm der Verfassungsschutz geraten, sich eine extra Handynummer nur für den Kontakt zur Behörde zu organisieren, sagt Brandt in dem aufgezeichneten Gespräch mit Heise. Die nötigen Tipps für die Sicherheitsvorkehrungen, etwa die Karte nicht auf seinen Namen zu kaufen, und das Geld für die Anschaffung, habe der Geheimdienst gleich mitgeliefert.
Geplauder über eine neue Terrorbewegung
Die Protokolle belegen die schlimmsten Befürchtungen, wie der Verfassungsschutz Brandt über Jahre hinweg hofiert und dadurch die rechte Szene unterstützt hat: So hat der Neonazi eigenen Angaben zufolge mit dem Geld vom Verfassungsschutz auch Strafbefehle anderer Neonazis bezahlt, so berichtet er es seinem Gesinnungsgenossen Heise und feiert sich selbstgerecht: "Gut, steuerbar war ich so oder so nie."
Bei Hausdurchsuchungen in aller Herrgottsfrühe soll Brandt den Ermittlern hellwach seine aufgeräumte Wohnung samt gelöschter Festplatte präsentiert haben. Vorwürfe, Brandt sei gewarnt worden, haben sämtliche Verfassungsschützer im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss empört von sich gewiesen. Auf Heises heimlichen Tonbandmitschnitten prahlt Brandt selbst damit: Nur zweimal habe er nicht vorher Bescheid gewusst. Sein schlichtes Fazit: "Gut, ist dann natürlich schon sehr praktisch, wenn ich einen Tag vorher weiß, dass die kommen."
Brandt plauderte nicht nur offen über seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und dessen Strukturen: Er sprach auch über Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Seiner Ansicht nach spekulierten die Behörden nach dem Verschwinden des Trios womöglich darüber, dass der von ihm gegründete und aufgebaute THS "der legale Arm einer Terrorbewegung werden könnte". Und er orakelt, dass die Untergetauchten "in der Zwischenzeit andere Sachen machen müssen", durch die es "neue Verjährungsfristen" geben könnte. Wusste Brandt also doch mehr über das Leben und die Taten des Trios im Untergrund?
Das BKA stuft die Aussagen Brandts als "unbefangene Äußerungen" ein, da dieser "mit hoher Wahrscheinlichkeit" nicht gewusst habe, dass sein Neonazi-Kumpel Heise das Gespräch mitschnitt. Weniger unbefangen dürfte der wegen der NSU-Mordserie zurückgetretene Thüringer Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel auf das aufgezeichnete Gesprächsprotokoll reagieren: Er sagt an diesem Donnerstag als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aus, am Abend trat er vor die Mitglieder.
Von Julia Jüttner, Maik Baumgärtner und Jörg Diehl