Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 12.04.2013

Plädoyer für die Aufrechten "Spinnennetz der Macht"

 
Autor Jürgen Roth legt sich mal wieder gründlich mit der Justiz in Sachsen an.

Sachsens Justiz und Jürgen Roth werden wohl keine Freunde. Als der Frankfurter Publizist 2007 in seinem Internetblog und dem Buch „Anklage unerwünscht“ Details aus Verfassungsschutzdossiers veröffentlichte und die Affäre „Sachsensumpf“ heftig befeuerte, verfolgte ihn die Justiz wegen übler Nachrede. 2009 wagte er sich mit dem Buch „Mafialand Deutschland“ erneut in die Region und erlitt abermals Schiffbruch. Ein Leipziger Gastronom zwang ihn per Gerichtsbeschluss, Passagen des Textes zu schwärzen.

Jürgen Roth kritisiert in seinem jüngsten Buch den Machtmissbrauch der politischen Eliten.

Roths jüngstes Buch dürfte an der wechselseitigen Abneigung wenig ändern. Unter dem Titel „Spinnennetz der Macht“ beschreibt der streitbare, aber auch umstrittene 68-Jährige, wie seiner Ansicht nach „die politische und wirtschaftliche Elite unser Land zerstört“. Gemeint ist die Bundesrepublik. Doch in einem Teil des Textes wandelt Roth erneut auf sächsischen Schauplätzen. Sie sind alle mehr oder weniger bekannt. Da ist der ungewöhnliche Arbeitskampf, den Dresdner und Leipziger Croupiers 1998 gegen das sächsische Finanzministerium führten, um ihre Arbeitsplätze und das klassische Spiel im staatlichen Glücksspielbetrieb zu retten.
 
Auch den Grundstückspoker um den Leipziger Flughafen holt Roth aus der Versenkung, ebenso den Anschlag auf den städtischen Immobilienmanager Martin Klockzin in Leipzig, die Datenschutzverstöße eines Ex-Justizministers, die Datenschützer Thomas Giesen rügte, und natürlich das Geschehen im Leipziger Bordell „Jasmin“, wo minderjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen worden waren.

Alles kalter Kaffee? Jürgen Roth hat ihn aufgewärmt, um den Schicksalen jener Menschen nachzugehen, die sich mit dem Freistaat anlegten. Er traf Ulrich Keßler, der in Leipzig eine gut gehende Kanzlei führte, bis er die Vertretung der Spielbankmitarbeiter übernahm, etwa 400 Arbeitsgerichtsverfahren gegen das Finanzministerium anstrengte und geheime Pläne des Freistaates öffentlich machte, das klassische Spiel anderswo fortzusetzen. Roth traf Rainer Wollny, der als Anwalt in Leipzig Alteigentümer vertrat, die große Flächen beanspruchten, auf denen der Airport erweitert werden sollte. Der Streit ging bis vors Bundesverwaltungsgericht. Wollny gewann, der Freistaat musste Hunderttausende für Anwaltskosten zahlen. Beide, Keßler und Wollny, sind beruflich und finanziell ruiniert nach Straf- und Steuerstrafverfahren, die sächsische Behörden gegen sie einleiteten.

Roth beschreibt, wie die Männer in den Mühlen der Justiz zermürbt wurden. Er schildert auch, wie Sachsens langjähriger Datenschützer angeklagt wurde, nachdem er den Justizminister spektakulär gerügt hatte. In die Reihe der Aufrechten wird auch der politisch unbequeme SPD-Mann Karl Nolle gestellt, der plötzlich des Subventionsbetruges bezichtigt wurde und wirtschaftlich in Schwierigkeiten kam.

Und Roth verfolgt, wie es einigen Schlüsselfiguren der „Sachsensumpf“-Affäre ergeht: der Verfassungsschutz-Referatsleiterin, die übers Ziel hinausgeschossen sein soll, ihrem Mitarbeiter, der Roth geheime Akten zugespielt haben soll, den vergewaltigten Mädchen vom „Jasmin“, die Freier aus der Justiz erkannt haben wollen, und dem Kommissar aus Leipzig, der die Verfassungsschützer auf das Netz zwischen Immobilienleuten, Ganoven und Juristen hinwies. Alle sind angeklagt, weil sie Menschen zu Unrecht beschuldigt oder Geheimnisse verraten haben sollen.

Roth nennt es „das Prinzip der gnadenlosen rechtsstaatlichen Vergeltung“ und zitiert Karl Nolle: „Alle, die unbotmäßig sind“, würden mit „Verfahren überzogen, die später eingestellt werden, aber Schaden hervorrufen, weil die Leute wirtschaftlich oder persönlich kaputt gemacht werden“.

Die Menge der Beispiele, die Roth aneinanderreiht, verblüfft schon. Aber gibt es deshalb ein sächsisches Landrecht, wie er glaubt? Er widerlegt das selbst, etwa mit dem Fall Gustel Mollath, der Schwarzgeld in die Schweiz brachte, auspacken wollte und amtlich für verrückt erklärt wurde – zu Unrecht. Auch dem Schicksal der Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen geht Roth nach. Die forsche Strafverfolgerin hatte medienwirksam Ex-Post-Chef und Steuersünder Klaus Zumwinkel verhaftet. Heute straft sie als Amtsrichterin Verkehrssünder in Essen. Diese und weitere Fälle zeigen: Auch in Bayern, Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern geht die Justiz sehr spezielle Wege.

In den Fällen Keßler, Wollny und Giesen erwiesen sich die Vorwürfe allesamt als unhaltbar. Und das stellten fast ausschließlich hiesige Gerichte fest. Wohl das wichtigste Argument dafür, dass es auch in Sachsen rechtsstaatlich zugeht – trotz eines staatlichen Verfolgungseifers, der manchmal zweifellos bedenklich ist.

von Thomas Schade

Jürgen Roth, Spinnennetz der Macht, Econ, 19,99 Euro

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