spiegel-online, 21:35 Uhr, 27.01.2014
Neonazi-Prozess in Hoyerswerda - Machtlos gegen den braunen Mob
Aus Hoyerswerda berichtet Rainer Leurs
Stundenlang terrorisierten Neonazis ein Paar aus der Antifa-Szene. Sie drohten mit dem Tod, die Polizei schritt erst spät ein. Der Prozess gegen die acht Täter in Hoyerswerda brachte Bewährungsstrafen - und vermittelte ein Gefühl von der Ohnmacht der Behörden gegen rechte Gewalt.
Kurz vor Verhandlungsbeginn herrscht beste Stimmung auf der Anklagebank. Offenkundig gut gelaunt sitzen die Beschuldigten nebeneinander, daddeln grinsend auf ihren Handys herum, flachsen mit Sympathisanten im Zuschauerraum. Sieben sind sie bereits, da wird der achte von zwei Justizbeamten hereingeführt: Wegen eines anderen Vergehens sitzt Silvio L. bereits in Haft, leise klirren seine Fußfesseln bei jedem Schritt.
Vielleicht ist es gerade diese offen zur Schau getragene Heiterkeit, die auf Betrachter des Neonazi-Prozesses in Hoyerswerda so verstörend wirkt. Gemeinsam hatten die acht Rechtsextremen laut Anklage im Oktober 2012 ein in der Antifa-Szene engagiertes Paar zu Hause aufgesucht. Sie beschimpften die beiden aufs übelste, drohten mit Mord und Vergewaltigung. Über Stunden schaffte es die Polizei nicht, dem Treiben ein Ende zu machen. Schließlich wurden nicht etwa die Täter festgenommen - sondern die Opfer per Streifenwagen an einen sicheren Ort geschafft.
Wegen Bedrohung und Beleidigung mussten sich jetzt die acht Angeklagten zwischen 18 und 36 Jahren vor dem Amtsgericht Hoyerswerda verantworten. Am Ende stand das Urteil durch Richter Michael Goebel: Fünf der Männer erhielten Bewährungsstrafen zwischen acht und zehneinhalb Monaten; bei Silvio L. wurde die bereits bestehende Haftstrafe um fünf Monate erweitert. Zwei der Angeklagten kamen mit einer Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht davon.
Die Todesangst des Antifa-Paares
Goebel folgte damit der Forderung von Staatsanwalt Christopher Gerhardi, der in seinem Plädoyer dazu aufgerufen hatte, bei den möglichen Sanktionen "ins obere Regal zu greifen". Die Todesangst des Paars am Abend der Tat sei schließlich nachvollziehbar gewesen.
Am Abend des 17. Oktober 2012 waren die Neonazis zum Wohnhaus des heute 34-jährigen Ronny S. und dessen gleichaltriger Freundin Monique L. gezogen, um "mit ihm etwas zu klären" - offenbar ging es um Fotos der Rechtsextremen bei Kundgebungen, die S. unter Nennung der vollen Namen bei Facebook veröffentlicht haben soll.
Vor dem Wohnblock in der Robert-Schumann-Straße skandierten die Angeklagten rechte Parolen; einige von ihnen drangen sogar ins Treppenhaus ein - "Heil!"schreiende, dunkel gekleidete Gestalten mit Tüchern vor dem Gesicht, die bei Ronny S. im dritten Stock Sturm klingelten, gegen die Wohnungstür polterten und wüste Drohungen ausstießen. "Du Ratte, du Antifa-Sau, wir zerstören dich!", sollen die Männer geschrien haben. "Wir machen dich tot! Deine Freundin wird vergewaltigt und deine Bude leergeräumt!"
"Wir waren fünf gegen acht"
In Todesangst riefen Monique L. und Ronny S. die Polizei, während der Mob sich laut Zeugenaussagen auf dem Flur austobte, den Strom abdrehte, Türspione mit NPD-Stickern überklebte. Vor Gericht schilderte L., wie sie in der Wohnung den Entschluss fasste, zur Not aus dem Fenster zu springen: "Lieber so, als das, was die vorhatten." Zwei Stunden lang wütete die Meute im Haus und auf der Straße, bis die Männer schließlich abzogen.
Bundesweites Aufsehen hatte der Fall vor allem wegen des Vorgehens der Polizei erregt. So waren fünf herbeigerufene Beamte offenbar nicht in der Lage, auch nur die Personalien der Männer vor dem Haus festzustellen. "Wir waren fünf gegen acht, da muss man die Verhältnismäßigkeit abwägen", sagte der damalige Einsatzleiter Matthias B. vor Gericht. Als sie nach Ausweisen fragten, seien die Polizisten ausgelacht worden. "Probiert's doch", hätten die Männer gesagt. Man habe daher warten müssen, bis Verstärkung aus umliegenden Städten kam - das aber zog sich lange hin.
Erst um 23.30 Uhr, fast zweieinhalb Stunden nach dem ersten Notruf, zog der rechte Pulk weiter zu einer nahe gelegenen Tankstelle. Dort fanden sich schließlich genug Polizisten ein, um die Personalien festzustellen und einen Platzverweis zu erteilen. Angesprochen auf das scheinbar zaghafte Vorgehen berichtete Einsatzleiter B., es gebe eine Mindestbesetzung der Polizei in Hoyerswerda, die nicht unterschritten werden dürfe. Fünf Beamte seien an jenem Abend zum Einsatzort gekommen, eine weitere Polizistin sei in der Zentrale geblieben - mehr hatten die Ordnungshüter in der Stadt mit knapp 40.000 Einwohnern an diesem Abend nicht zuzusetzen. Ohnehin wollte B. eine aggressive Stimmung am Einsatzort nicht beobachtet haben. "Und es war mein Bestreben, das nicht hervorzurufen, so lange ich kräftemäßig unterlegen bin." Man sei daher deeskalierend aufgetreten.
Als Deeskalationsmaßnahme ist offenbar auch zu verstehen, dass die Polizei, statt L. und S. zu schützen, noch am selben Abend mit ihnen erörterte, wie man die beiden aus dem Haus wegbringen könnte. Man habe ihnen eine Unterbringung in Schutzgewahrsam angeboten, sagte eine Polizistin aus. Das sei aber an den beiden Hunden gescheitert, die das Paar mitnehmen wollte. Auch Pensionen seien erfolglos abtelefoniert worden. Am Ende brachte ein Streifenwagen Monique L. und Ronny S. an einen sicheren Ort, den eine Opferschutzgruppe organisiert hatte - ein Vorgang, der von Teilen der Öffentlichkeit als Kapitulation vor dem braunen Mob verstanden wurde.
Sie sind aus Hoyerswerda weggezogen
Es sei eben einfacher, zwei Leute wegzubringen als dreißig Leute zu bewachen, sagte ein Polizeisprecher später zur Begründung der umstrittenen Maßnahme. Einsatzleiter B. drückte es vor Gericht so aus: "Man musste eine Prognose stellen, wie's hier weitergehen soll. Und da war klar: Die Angeklagten gehen nicht freiwillig." Daher habe man lieber Ronny S. und Monique L. weggebracht.
Es gehörte zu den Merkwürdigkeiten des Verfahrens, dass es vordergründig um den Tatbestand der Bedrohung und der Beleidigung ging - gleichzeitig aber eben auch um jene Vorgänge nach der eigentlichen Tat. Diese hätten schließlich "großen Rummel verursacht", wie es Staatsanwalt Gerhardi ausdrückte.
Im Prozess hatten er und Richter Goebel alle Mühe, beide Ebenen voneinander zu trennen. Vor allem Rechtsanwalt Klaus Bartl, der Monique L. und Ronny S. als Nebenkläger vertrat, setzte bei den Polizisten im Zeugenstand immer wieder hartnäckig nach.
"Es darf nicht sein, dass der Staat in zweieinhalb Stunden keine Möglichkeit findet, so etwas zu unterbinden, und dass zwei Menschen deshalb ihre Heimat verlassen müssen", sagte Bartl in seinem Plädoyer.
Für Monique L. und Ronny S. änderte sich in jener Nacht alles. Beide wurden nach den Erlebnissen schwer krank; bis heute ist für sie die Angst nach eigener Aussage allgegenwärtig. Vier Monate verbrachten sie nach der Tat an einem geheimen Ort. Danach kehrten sie Hoyerswerda komplett den Rücken. Sie leben inzwischen in der Anonymität einer deutschen Großstadt.