Sächsische Zeitung, 30.08.2015
Wovor hat Sachsens Polizeiführung Angst?
Mit ihrer Begründung für den in Heidenau ausgerufenen Notstand können die Sicherheitsexperten Kritiker noch nicht überzeugen. Polizeipräsident Dieter Kroll ist verantwortlich für die Polizeidirektion Dresden sowie die beiden Landkreise Meißen und Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge.
Von Gunnar Saft
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) und der Dresdner Polizeipräsident Dieter Kroll können am Freitagnachmittag auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz reden, wie sie wollen. Eines schaffen sie nicht: Niemandem im Raum wird so richtig klar, warum Sachsens Polizei kurz zuvor offiziell den Notstand ausgerufen hat und damit ein für den selben Tag geplantes Willkommensfest für die Bewohner der Heidenauer Asylunterkunft praktisch zu verhindern droht. Erst eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtes Dresden, das von einem Juristen aus Rheinland-Pfalz angerufen worden war, macht schließlich die Veranstaltung noch möglich.
Damit aber herrscht nun bei Sachsens Sicherheitsexperten Erklärungsnot. Vor allem Polizeichef Kroll beharrt im Raum B 03 darauf, dass man im Vorfeld alles getan habe, um vor Ort mit ausreichend vielen Beamten präsent zu sein. Am Ende aber mangels eigener Kräfte und ausbleibender Unterstützung von außen nicht ausreichend handlungsfähig war und zunächst das Handtuch werfen musste. Belegen kann er das jedoch im Detail nicht. Welches Bundesland wurde von Sachsens Polizei wann genau um Unterstützung gebeten? Keine Antwort. Wann haben die anderen Bundesländer erklärt, keine Polizisten nach Heidenau schicken zu können? Ebenso.
Damit bleibt völlig offen, ob die Entscheidung der zuständigen Versammlungsbehörde vom Donnerstagabend – nämlich auf Anraten der sächsischen Polizei über die Stadt Heidenau ein 64-stündiges allgemeines Versammlungs- und Demonstrationsverbot zu verhängen – überhaupt notwendig ist.
Ein brisanter Umstand. Denn ein solches Verbot wiegt außerordentlich schwer und sorgt im Fall von Heidenau nun bundesweit für Diskussionen. So gehört das Versammlungsrecht in Deutschland zu den zentralen Grundrechten. Laut dem Bundesverfassungsgericht ist es für einen demokratischen Staat unverzichtbar. Entsprechend hoch sind die Hürden, wenn es um Einschränkungen geht. Ein Verbot von Demonstrationen ist nur möglich, wenn dadurch die öffentliche Ordnung und Sicherheit „unmittelbar gefährdet“ sind. Ein akuter Mangel an Polizisten, die die angemeldeten Veranstaltungen absichern müssen, könnte im Prinzip ein Verbot begründen. Juristen verweisen allerdings darauf, dass es in einem solchen Fall zwingend notwendig ist, konkrete Tatsachen für einen derartigen polizeilichen Notstand anzugeben. Also genau das zu tun, was Kroll und Ulbig im Raum B 03 noch nicht gelingt.
Auch die bloße Vermutung für eine Gefährdung im Umfeld einer geplanten Demonstration – so wie zunächst von der Versammlungsbehörde nach den Heidenauer Krawallen der Vorwoche angeführt – reicht hier nicht aus. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, welches das ausgesprochene Festverbot letztlich für rechtswidrig erklärte, ist damit logisch und konsequent.
Tatsächlich sind Demonstrationsverbote in Deutschland die absolute Ausnahme. Allein in Sachsen ist es dieses Jahr schon in zwei Fällen dazu gekommen. Im Februar wurde ein Aufmarsch der islamfeindlichen Pegida-Bewegung in Leipzig untersagt. Einen Monat zuvor galt nach Drohungen gegen den Pegida-Gründer Lutz Bachmann ein Demonstrationsverbot für das Dresdner Stadtzentrum. Warum nun in Heidenau zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit zu dem rigorosen Mittel gegriffen werden sollte, ist damit ein Politikum. Die Opposition im Dresdner Landtag kündigt an, sämtliche Entscheidungswege zu überprüfen. Die Polizei, das Landratsamt des Kreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie das Innenministerium brauchen damit bald handfeste Argumente und Fakten. Schon am Dienstag kommender Woche will sich das Parlament erstmals mit dem Fall befassen – auf einer Sondersitzung.
Ein Auftritt wie am Freitagnachmittag wäre dann sowohl für den Polizeichef als auch für Sachsens Innenminister wenig vorteilhaft. Während Ulbig bereits gehörig unter Druck steht, sollte Kroll künftig vor allem den Eindruck vermeiden, dass er an einem anderen Seilende als sein Chef zieht. Genau das passiert aber, als die Pressekonferenz offiziell beendet ist und sich Markus Ulbig in sein Dienstzimmer zurückzieht. Jetzt läuft Dieter Kroll doch noch zu Hochform auf und sorgt dafür, dass die Fernsehteams ihre Kameras erneut anschalten. Um zu erklären, warum die Polizei stets für jede Möglichkeit ausreichend gewappnet sein muss, greift er zu einem merkwürdigen Beispiel. Er verweist darauf, dass in Heidenau bereits bis zu 7 00 Asylbewerber aus 28 Nationen untergebracht sind. Wer wisse schon vorab, was da in einer heiklen Situation so alles passieren kann, fragt der Spitzenpolizist in die verblüffte Runde.