DNN/LVZ, 02.09.2015
Sachsen: Bizarres Szenario beim Thema Asyl
Leitartikel von Jürgen Kochinke
Die gute Nachricht zuerst: Nach den Ausschreitungen und Hasstiraden der letzten Tage hat sich der Landtag dem Streitthema Asyl gestellt, und einige der Abgeordneten haben den Ernst der Lage auch tatsächlich erkannt. Dann allerdings kommt schon die schlechte Seite der Nachricht: Allzu viele waren es nicht - zumindest nicht von der Regierungspartei CDU. Zwar ließ sich auch gestern wieder beobachten, welch beachtliche Wendung CDU-Ministerpräsident Tillich beim Thema Rassismus hingelegt hat. "Sein" Fraktionschef Kupfer allerdings tut genau das nicht.
Das ist schon ein reichlich bizarres Szenario. Während Tillich mit kaum mehr zu überbietender Klarheit gegen Gewalttäter vor Asylbewerberheimen blank zieht, gibt Kupfer weiter den empathielosen Hardliner. Damit aber reißt er mit dem Hinterteil das wieder ein, was der Regierungschef gerade aufzubauen versucht: einen anderen Umgang mit dem Reizthema Asyl. Und als wäre es ein Hintergrundrauschen, liebäugeln christdemokratische Hinterbänkler kaum mehr verholen mit dem parlamentarischen Arm von Pegida, genannt AfD.
Vieles davon erinnert an den alten, prekären Dreiklang in Sachsen im Umgang mit dem Neonazi-Problem: Abducken, wegschauen und nach einfachen Lösungen suchen, das hat die Union jahrelang praktiziert. Und nun ist, mit eifriger Unterstützung von Pegida & Co., die Lage so eskaliert, dass man bitter feststellen muss: Allmählich bewegt sich der Freistaat auf eine Staatskrise zu.
Wenn Kanzlerin Merkel in Heidenau von einer Wutpöblerin als "Schlampe" und noch viel mehr beschimpft wird; wenn diese Rassistin dabei in knapp zwei Minuten mehr als ein Dutzend Straftaten begeht und die Polizei schaut nur zu; wenn kurz danach Innenminister Ulbig von vermummten, selbsternannten Antifaschisten so rüde angegangen wird, dass ihn die paar Polizisten lieber gleich in den Dienstwagen bugsieren - dann zeigt sich der (Rechts-)Staat genauso hilflos, wie es sein Innenminister schon lange ist.
Das ist nicht nur inakzeptabel, es ist auch ein Zustand, der sich nicht mit Haudrauf-Strategen à la Kupfer beerdigen lässt. Tillich und seine Minister haben das mittlerweile kapiert, und erstaunlicherweise ziehen Linke und Grüne dabei mit. Sie strecken die Hand aus, weil das Problem so gravierend ist, dass es nur gemeinsam zu lösen ist.
Geholfen hat das allerdings nicht, und das liegt schlicht an der CDU-Fraktion. Die schielt lieber nach rechts und hat auf den Rest keine Lust. Während pöbelnde Wutbürger Stimmung vor Asylbewerberheimen machen, tut sich so ein Riss auf zwischen der großen Mehrheit der Unionschristen im Landtag und den anderen Teilen der Koalition - von Tillich bis hin zur gesamten SPD. Da kann man dem Bündnis für die Zukunft nur viel Glück wünschen.
j.kochinke@lvz.de