Sächsische Zeitung, 19.10.2018
Generation immer dabei
Ein Jahr vor der Landtagswahl wächst die Fraktion der Politik-Rückkehrer und derer, die nicht loslassen wollen.
Von Gunnar Saft
Es gab Zeiten, da brach in der CDU-dominierten sächsischen Staatsregierung sofort massive Unruhe aus, wenn sich der Dresdner Sozialdemokrat Karl Nolle öffentlich zu Wort meldete. Oft war diese auch berechtigt, weil der frühere Landtagsabgeordnete dann meist brisante Details über neue Verfehlungen der Regierungsverantwortlichen vorlegte. Erst 2014 glaubte man sich im Regierungslager endlich in Sicherheit, da der SPD-Politiker damals das Parlament und die landespolitische Bühne verließ. Scheinbar für immer.
Nun herrscht allerdings erneut Unruhe, denn der mittlerweile 73-Jährige ist wieder da. Ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl im Freistaat engagiert sich Nolle maßgeblich für die von der Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht initiierte Sammlungsbewegung „Aufstehen!“ und langt dabei zu wie in alten Zeiten. Das sorgt nicht nur bei der CDU, sondern auch bei Nolles Partei für besorgte Mienen – zu recht. Sein Politik-Comeback begründet der Sozialdemokrat nämlich nicht nur mit AfD, Pegida und einem alarmierenden Rechtsruck im Land, gegen den man etwas unternehmen müsse. Nein, er teilt auch kräftig in Richtung seiner Genossen aus, die heute in Dresden und Berlin mitregieren. „Die SPD sitzt dort mit der Rassel im Kindersitz der Regierungslimousine“, schimpft er und ist enttäuscht, dass seine Nein-Stimme beim Mitgliedervotum über die Berliner GroKo erfolglos blieb.
In Sachsen sehe es nicht viel anders aus. Die Probleme mit Lehrern und Polizisten gebe es seit 20 Jahren, ändern würde sich kaum etwas. „Auch dort nicht, wo die Sozialdemokraten mitregieren.“ Deshalb will Nolle nun über die neue Bewegung mehr Druck machen. „SPD, Linke und Grüne müssen sich nämlich fragen, ob sie Alzheimer haben, und deshalb nicht mehr wissen, wo sie herkommen.“
Und er ist längst nicht mehr der einzige Ex-Politiker im Freistaat, der sich aus solchen Gründen wieder engagiert. Auch der frühere SPD-Fraktionschef im Landtag, Cornelius Weiss, hat sich der „Aufstehen“-Bewegung angeschlossen und gehört sogar zu den Unterzeichnern des Gründungsaufrufs. Weiss sorgte einst für Schlagzeilen, als er noch im Amt die erste schwarz-rote Koalition in Sachsen kritisch hinterfragte.
Aber auch anderswo melden sich Ehemalige verstärkt wieder zu Wort. Dazu gehört mit Antje Hermenau die langjährige Fraktionsvorsitzende der sächsischen Grünen, die 2014 mit ihrer Partei brach, nachdem sich diese gegen ein von Hermenau favorisiertes – und rechnerisch mögliches – Regierungsbündnis mit Sachsens CDU stellte. Als offiziell engagierte Beraterin für die Freien Wähler, die im September erstmals in den Landtag einziehen wollen, nähert sich die Ex-Grüne jetzt wieder ihren Wurzeln. Sie bestätigt sogar, dass sich diese Zusammenarbeit noch etwas intensiver gestalten könnte. Allerdings, so schränkt die 54-Jährige ein, sei es dabei nicht ihr Ziel, in den Landtag zurückzukehren. Doch auch damit bleibt einiges offen.
In einem Tweet zu diesem Artikel bekräftigte Hermenau noch einmal ihre Haltung: „Ich kandidiere nicht für den Landtag. Ende.“ Offen bleibe nichts.
Und während nun in fast allen Parteien wild spekuliert wird, ob dort nicht noch andere ehemalige Prominente angesichts der nahenden Landtagswahl wieder in den Kampf um Posten und Mandate eingreifen, hat dieses Thema auch die dauerregierende CDU erfasst – hier allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Unter den Christdemokraten wird gegenwärtig vor allem diskutiert, ob es nach der Wahl des 43-jährigen Michael Kretschmer zum Ministerpräsidenten, der nächstes Jahr sein Amt erstmals gegenüber dem Wähler verteidigen muss, auch einen Generationswechsel in der einflussreichen Landtagsfraktion gibt. Was zunächst möglich schien, als sich mit dem 44-jährigen Christian Hartmann ein neuer Fraktionsvorsitzender durchsetzte, stockt mittlerweile allerdings. Bei den bisherigen Nominierungsrunden für die Landtagswahlkreise setzten sich überall die Etablierten durch.
Und selbst dort, wo durch den Rückzug der bisherigen CDU-Wahlkreisinhaber ein Nachfolger gebraucht wird, hakt es bei der Erneuerung. Der bekannteste Streitfall dreht sich zurzeit um den früheren Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz. Heute Chef der Polizei in Leipzig, scheidet der 62-Jährige Anfang nächsten Jahres aus dem Dienst aus. Dann strebt der langjährige Beisitzer im CDU-Landesvorstand eine politische Karriere an und will überraschend im Wahlkreis Torgau-Oschatz für den Landtag antreten, obwohl dort für die Christdemokraten eine 37-Jährige als gesetzt galt. Nun kommt es zum intern durchaus umstrittenen Duell der Generationen, bei dem Merbitz als Älterer nicht chancenlos ist. Immerhin setzt die Partei absehbar auch in Riesa weiter auf den 68-jährigen Ex-Justizminister Geert Mackenroth und in Radebeul mit Parlamentspräsident Matthias Rößler (63) auf einen Mann, der dank einer Landtagssonderregelung seit zehn Jahren die Politiker-Rente genießen könnte.