Sächsische Zeitung, 04.07.2019
Lieber mittendrin statt nur dabei - Klaus Bartl
Klaus Bartl wurde sechsmal in den Landtag gewählt. Jetzt geht der Linke mit der spektakulären Biografie.
Was für ein Auftritt:
Karl Nolle pustet in eine Blockflöte. Kurz. Laut. Heftig. Der frühere SPD-Abgeordnete spielt die dissonante Zwischenmusik zu einer Laudatio. Verabschiedet wird
Klaus Bartl. Seit 1990 gehört der Linkenpolitiker aus Chemnitz dem Sächsischen Landtag an. Sechsmal wurde er gewählt, erlebte 29 turbulente Jahre als Abgeordneter. Zur Wahl im September tritt der Jurist, in dessen Biografie sich gesellschaftlich-politische Entwicklungen aus Vorund Nachwendezeit wie unter einem Brennglas bündeln, nicht mehr an.
Nolle ist ein besonderer Weggefährte Bartls. Seine Lobrede auf den Linken durchziehen Energie, Furor und Wut. Wut, so empfindet es Nolle, auf ein Sachsen, in dem die CDU über Jahre ungebremst machen konnte, was sie wollte. Deren Abgeordnete ihre Vergangenheit in der DDR-CDU oder der SED allenfalls am Rande erwähnen. Blockflöten, wie Nolles atonale Einlage nahelegen soll. Und die spielten, folgt man dem Vergleich, im "Hofstaat" um "König Kurt" Biedenkopf. Zu diesem Gebilde zählte damals auch die "königlich-sächsische Hofopposition". Nolle spielt damit auf seine eigene Partei an, mit der er oft im Streit lag, was den Umgang mit der Sachsen-Union angeht. "Klaus Bartl und Karl Nolle waren bei Hofe nicht gut gelitten."
Das kann man so sagen. An dem Freitagabend vor einer Woche, an dem Bartl von seiner Fraktion verabschiedet wird, blitzen noch einmal die großen Konflikte der Vergangenheit auf. Als die CDU allein regierte und die Opposition, so sie den Biss hatte, sich an der Dominanz der Union meist vergeblich abarbeitete. Bartl agierte dabei stets mittendrin, manchmal gemeinsam mit Nolle. Egal, ob es um die Unterbringung von Landesbehörden in der Immobilie eines Biedenkopf-Vertrauten in Leipzig-Paunsdorf ging oder um die Verflechtung von Sachsenring mit der Staatsregierung, der Linkenabgeordnete gab sich kämpferisch, kombinierte sorgsam erarbeitetes Detailwissen mit der für ihn typischen emotionalen Rhetorik, die gern in Schachtelsätzen mündet.
Eine ganze Reihe von Untersuchungsausschüssen sind mit Bartls Namen verknüpft. In vielen kleinen und großen Polit-Skandalen wühlte er sich durch Aktenstapel und sammelte Material gegen Regierungspolitiker oder Behörden-Mitarbeiter. Unabhängig davon, wen er gerade zu seinem Hauptgegner erklärt hatte, trat er stets in der Attitüde des empörten Anklägers vor die Mikrofone. Den ganz großen Skandal lieferte der Verfassungsschutz im Jahr 2007. Damals war ein Aktendossier der Behörde aufgetaucht. Zunächst wollte der Datenschutzbeauftragte die Akten vernichten, weil die Sammlung nicht legal zustande gekommen war. Nach und nach tauchten immer mehr Gerüchte über den Inhalt des Dossiers auf.
Es ging um Bordellbesuche von Justizmitarbeitern, Verstrickungen der Justiz in kriminelle Netzwerke, Pornos im Tresor eines Staatsanwalts, krumme Immobiliendeals und Sex-Partys im Leipziger Rathaus. Die Öffentlichkeit wurde hellhörig, und so zog sich die Generalstaatsanwaltschaft die Akten auf den Tisch. Nachdem die Ermittlungen mangels Tatverdachts gegen konkrete Beschuldigte rasch eingestellt wurden, setzte Bartl im Landtag einen Untersuchungsausschuss durch. Noch bevor die erste Akte auf dem Tisch lag, stand für den Juristen fest: Der Sachsensumpf ist keine Vermutung, sondern Realität. Keine Frage, Bartl ist kämpferisch und scheut keinen Konflikt mit Vertretern von Behörden und Regierung. Das vorurteilsfreie Prüfen von Beweisen oder das kritische Hinterfragen dubioser Beweise gehört allerdings nicht zu seinen Stärken. "Ich glaube den Akten, die ich kenne, und den Menschen, mit denen ich geredet habe", verkündete er, bevor der Untersuchungsausschuss seine Arbeit begann.
Vier Jahre lang dauerte die Beweisaufnahme. Im Abschlussbericht 2014 kamen die Regierungsfraktionen von CDU und FDP zu dem Fazit, dass es in Sachsen keine Hinweise auf mafiose Strukturen oder korruptive Netzwerke unter Beteiligung von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und sonstigen Behörden gegeben habe. Auch SPD, Linke und Grüne sahen keine Beweise für "ausgeprägte korruptive Netzwerke". Trotz mehrerer Ermittlungsverfahren und Strafprozesse blieb Bartl jedoch bei seinem Vorwurf, dass die Vorwürfe zu keinem Zeitpunkt Gegenstand ernsthafter, unvoreingenommener Ermittlungen gewesen seien.
Zu einem bemerkenswerten Treffen kam es 2014. Die Sächsische Zeitung fragt Bartl und den Grünenpolitiker Volkmar Zschocke nach einem gemeinsamen Interview an. Beide sagen ohne Zögern zu. Sie sind nicht nur über ihre Vergangenheit miteinander verbunden. Bartl arbeitete als junger Mann am Bau, studierte an der Berliner Humboldt-Universität Jura und wurde zunächst Staatsanwalt, später Abteilungsleiter für Staatsund Rechtsfragen an der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt. Ihm lagen die Stasi-Akten über den Karl-Marx-Städter Zschocke vor, der unter dem Dach der Kirche andere Jugendliche "feindlich-negativ" beeinflusst haben soll. Mittlerweile sind beide Abgeordnete. Sie verstehen sich, so scheint es bei dem Gespräch im Landtagsrestaurant.
Zumindest ist die Politik ihrer Fraktionen nicht wirklich gegensätzlich. Bartl sagt damals: "Ich kann weder mein Leben noch das, was an Verletzungen da ist, zurückdrehen. Ich kann nur versuchen, mehr oder weniger zu erklären, wie ich die Welt gesehen habe und wie ich sie heute sehe."
Aus seinen zwei Jahren als Stasi-IM macht Bartl keinen Hehl. Seit den 1990er-Jahren ist sie bekannt. Bartl hinterlegte 1990 einen Brief beim damaligen, unlängst verstorbenen Parlamentspräsidenten Erich Iltgen. Er schrieb auf, erzählt er heute, was er für die Stasi als junger Mann beobachtete. Als etwa vier Jahre später die Erkenntnisse der Gauck-Behörde dem Landtag vorlagen, gab es, erinnert sich Bartl, allenfalls geringe Differenzen.
Wenn er damals als Fraktionschef der linken Liste/PDS im Landtag redete, verlie-ßen CDU-Abgeordnete das Plenum. Eine Abgeordnetenklage gegen Bartl scheiterte. Als der Anwalt 2007 Chef des Sachsensumpf-Untersuchungsausschusses werden sollte, bekannte er freimütig: "Ich habe mich mit 17 Jahren als inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit verpflichtet." Er habe unter anderem an der tschechischen Grenze nach Spuren im Schnee gesucht. Nach dem Ende des Wehrdienstes sei er nach Hause gefahren, und die Mitarbeit war beendet. Wenn Bartl über die fast 30 Jahre als Abgeordneter spricht, dreht sich vieles um die Zeit ab 1990. Der gebürtige Oberwiesenthaler erzählt schnell. Seine Rede ist voller Assoziationen. Es ist nicht ganz leicht, ihm angesichts des Tempos und der schnellen Gedankenwechsel zu folgen. Es geht um Anekdoten, aber eben immer auch um die Frage nach politischen Systemen, um Verantwortung und biografische Brüche.
Eine Episode bringt vieles auf den Punkt. Traf Bartl in den frühen 1990er-Jahren nach oft wilden Debatten beim Händewaschen in der Landtagstoilette auf CDU-Kollegen, passierte gelegentlich das: Abseits der Öffentlichkeit klopften Christdemokraten Bartl anerkennend auf die Schulter. Der Politiker war als Typ, wie es heute im Politikberaterjargon heißt, authentisch. Zumindest hatte er durch den offenen Umgang mit seiner Biografie den Vorteil, dass er nichts verbergen musste. Und es gab viele, die zumindest ähnliche Anfeindungen durchstehen mussten.
Bartl schaffte es zwar nie als Direktkandidat in den Landtag, sondern ausschließlich über die Listenstimmen. Doch schnitt er im Wahlkreis besser ab als seine Partei auf Landesebene. Womöglich hat das auch mit der Bekanntheit des heute 68-Jährigen in Chemnitz zu tun. "Ich saß für die SED am runden Tisch", sagt er. Noch bis Mitte der 2000er-Jahre wurde seine DDR-Vergangenheit in der politischen Auseinander-
setzung thematisiert. Bei der Bundestagswahl 2005 fehlten ihm weniger als zwei Prozentpunkte zum Wahlkreissieg, der an die SPD ging. Einer seiner Konkurrenten stellte einen Zusammenhang zwischen den DDR-Grenzanlagen und Bartl her. Im Nachhinein ist der knapp Unterlegene froh. "Was da in Berlin los gewesen wäre, wenn ein Abteilungsleiter der SED-Bezirksleitung in den Bundestag gewählt worden wäre", fragt er sich noch heute.
Eine Begegnung Bartls mit einem langjährigen Gegner illustriert die Vielschichtigkeit seiner Biografie. Ende der 1990-er Jahre stand Herbert Goliasch vor Bartls Landtagszimmer. Der mittlerweile verstorbene Politiker war erster CDU-Fraktionschef. Nachdem Stasiund Geheimdienstvorwürfe gegen den Abgeordneten öffentlich geworden waren, trat er aus der CDU aus. Goüasch wollte Bartl als Anwalt. Der nahm an. Goliasch fühlte sich offensichtlich gut vertreten. Sein Beistand wusste ja aus eigener Erfahrung, worum es ging.
Wer sich mit dem Linken über seinen Werdegang unterhält, hört eine Redewendung mehrfach. "In die Büsche schlagen wollte ich mich nie", sagt Bartl. Gelegenheit hätte er gehabt. In der Wendezeit arbeitete er als Berater der SED in der Volkskammer. Allerdings hatte er auch das Angebot, als Anwalt nach Frankfurt am Main zugehen. Bartl entschied sich fürs Bleiben. Seine Wahlerfolge bestätigten ihn gewissermaßen. Der verheiratete, dreifache Familienvater erschien wählbar für diejenigen, die ähnliche Brüche erlebt hatten, wenngleich sie vielleicht finanziell schmerzhafter ausfielen: aus der Verantwortung in die Opposition. Aus dem bisherigen beruflichen Leben an den Rand. Opposition ist ein gutes Stichwort für Bartl. Er sagt, die SED hätte auf die DDR-Opposition zugehen müssen. Auf deren Vertreter traf Bartl erst nach 1990. Oft waren die Unterschiede nicht so riesig. In der Linken ist der Anwalt heute ein Grandseigneur, auch ein Solitär. Einige seiner Weggefährten scheiterten zumindest politisch an der Stasi-Vergangenheit, andere bevorzugen mittlerweile das neurechte Lager, etliche konnten sich innerparteilich nicht durchsetzen.
Bartl ist noch da. Unlängst wurde er in den Chemnitzer Stadtrat gewählt. Sem Wort als Rechtspolitiker hat mittlerweile Gewicht auch außerhalb seiner Fraktion. Als "Unrechtstäter" wird er nicht mehr kritisiert. Zu seiner Verabschiedung in einem Lokal an der Brühischen Terrasse in Dresden hatte zunächst auch CDU-Justizminister Sebastian Gemkow zugesagt, der allerdings aufgrund kurzfristig anberaumter Termine dann doch nicht kommen konnte.
"Wer sich für die Linke entscheidet, entscheidet sich zunächst für die Opposition", sagt Bartl. Welchen Rat gibt er seiner Partei, die bei der Europawahl in Sachsen verlor und nun auch Einbußen bei der Landtagswahl befürchtet? "Wir müssen uns kümmern", sagt er. Rangehen an Garagenbesitzer, Kleingärtner, Vereine.
Bartl glaubt, dass die Linke dort noch Potenzial hat. Man kann es auch anders sagen. Die Partei hat einiges verspielt, setzte womöglich mehr auf moralische Positionen als auf Begegnungen. Neu-Stadtrat Bartl wird den Kurs der Linken von Chemnitz aus verfolgen. Womöglich kommt auf die Fraktion im Landtag ja sogar erstmals so etwas wie Regierungsverantwortung zu. falls sie ein Minderheitsbündnis toleriert.
Wie er den Wahlabend verbringen wird, weiß Bartl noch nicht. Vermutlich unterstützt er die Chemnitzer Direktkandidaten. Fällt ihm der schon lange beschlossene Abschied schwer? Bartl lächelt. "Ich habe es schon mit Herzblut gemacht."
von Thilo Alexe und Karin Schlottmann