Junge Welt, 28.08.2019
Sächsische Verhältnisse: »Rechtsstaat in Sachsen steht auf wackligen Beinen«
Dresdner Polizei lässt Neonazis ein Plakat mit »Zyklon B«-Drohung aufhängen. Nun müssen Behörden ermitteln
Ein Gespräch mit Karl Nolle - Interview: Markus Bernhardt
Drohung von Neonazis gegen die Punkband
»Feine Sahne Fischfilet«
Karl Nolle war von 1999 bis 2014 SPD-Landtagsabgeordneter in Sachsen und zudem Obmann im »Sachsensumpf«-Untersuchungsausschuss. Dieser sollte mögliche Verwicklungen ranghoher Amtsträger in kriminelle Machenschaften aufklären
Mit verschiedenen Aktionen haben Rechte versucht, das Konzert der Punkband »Feine Sahne Fischfilet«, das am 21. August am Dresdner Elbufer von über 11.000 Menschen besucht wurde, zu stören. Was genau war da los?
Neonazis hängten gegenüber der Konzertbühne ein riesiges, zehn mal zehn Meter großes Transparent auf. Dort stand: »Was reimt sich auf Zyklon B? Feine Sahne Fischfilet«. Diese Aktion fand am hellichten Tage statt, mitten in Dresden, unter den Augen Hunderter Touristen, keine 100 Meter entfernt von der Dresdner Neuen Synagoge.
Wieso konnte ein solches Transparent aufgehängt werden, ohne dass die Polizei einschritt?
Offensichtlich sind die sächsische Polizei und ihre Einsatzleiter so schlecht ausgebildet, dass sie die Straftatbestände wie Verharmlosung von Naziverbrechen und Volksverhetzung nicht erkannten oder nicht erkennen wollten.
Zyklon B erinnert an die dunkelsten Kapitel deutscher, ja sächsischer und Dresdner Geschichte. Dieses von den Nazis zum Massenmord eingesetzte Schädlingsbekämpfungsmittel ist weltweit ein Synonym für Barbarei und Holocaust. Bereits ab 1939 ermordeten die Nazis im »Gau Sachsen« unter der Regie von SS-Sturmführer Karl Brandt, dem Begleitarzt Hitlers, bei der »Aktion T 4« (Bezeichnung für die systematische Ermordung von Zehntausenden Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, jW) etwa 14.000 Menschen.
In Arnsdorf bei Dresden ließ man sie verhungern, in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein benutzte man Auspuffgase und Kohlenmonoxid. Die für die »Euthanasie« verantwortlichen Ärzte vom Sonnenstein nahmen ihre Erfahrungen in die Vernichtungslager Auschwitz/Birkenau mit. Zur Beseitigung der riesigen Leichenberge baute man auf dem Sonnenstein sogar einen der ersten »modernen« Spezialverbrennungsöfen und kippte die Menschenasche mit Handschubkarren an den offenen Elbhang.
Die Staatsanwaltschaft Dresden bezeichnete das Plakat als »geschmacklos«. Ist die Angelegenheit damit erledigt?
Ich bin dem Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert, FDP, dankbar, dass er gegen die Verantwortlichen Strafanzeige gestellt hat. Nun wird sich zeigen, wie die Staatsanwaltschaft damit umgeht.
Zudem muss man daran erinnern, dass das Giftgas Zyklon B geruchs- und geschmacklos ist. Dadurch wurden die von den Nazis zu Tausenden in die Gaskammern getriebenen Opfer nicht vorzeitig panisch. Aber das meinte die Dresdner Staatsanwaltschaft mit dem deplazierten »geschmacklos« wohl nicht.
Diese Reaktion der sächsischen Ermittlungsbehörde reiht sich ein in mehrere Skandale bezüglich des staatlichen Umgangs mit neonazistischen Aktivitäten. Warum gelingt es in Sachsen bis heute nicht, Provokationen und Straftaten dieser Art zu unterbinden und zu verfolgen?
Die Sehschwäche des rechten Auges hat schon vor 30 Jahren beim ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, CDU, angefangen und sich mit den zahllosen Verfahren gegen die friedlichen Blockaden von rechten Aufmärschen hasserfüllter Kampfstiefelträger fortgesetzt. Selbst das Brüllen der ungeheuerlichen Parole
»Ruhm und Ehre der Waffen-SS« bei Aufmärschen in Leipzig und Dresden blieb folgenlos. Und der amtierende Ministerpräsident Michael Kretschmer, ebenfalls CDU, hatte letztes Jahr in einer Regierungserklärung behauptet, bei den Ausschreitungen nach der Tötung des Chemnitzers Daniel H. keine Hetzjagd auf Ausländer gesehen zu haben. Er hat das bis heute nicht korrigiert.
Liegt das an mangelndem Verfolgungswillen der Justiz?
In den 30 Jahren CDU-Dauerherrschaft und auch im Rahmen des Untersuchungsausschusses zum sogenannten Sachsensumpf (siehe jW vom 3.5.2018) – bei dem es um die mutmaßliche Verwicklung hochrangiger Amtsträger aus sachsens Justiz, Politik und Wirtschaft in die Prostitution Minderjähriger und Immobiliengeschäfte ging – konnten wir erfahren, wie hier mit Rechtsradikalismus und Rechtsterrorismus bis zum NSU, aber auch mit politischer Korruption umgegangen wird. Der Rechtsstaat in Sachsen steht auf wackligen Beinen und die sächsische Staatsanwaltschaft hat sich, wenn es um die Mächtigen im Land ging, wie eine institutionalisierte Strafvereitelungsbehörde verhalten.
Anmerkung von Matthias M. aus H. (29. August 2019 um 14:38 Uhr)
Die Behördlichkeiten sind mitnichten auf dem rechten Auge blind. Ganz im Gegenteil, sie zwinkern mit diesem klar sehenden Auge ganz freundschaftlich nach ganz rechts.