DIE WELT, 09.12.2002
Wendung im sächsischen Spendenskandal
Strafanzeige gestellt: Justiz muss dubiose Vorgänge beim Verkauf eines Dresdner Staatsbetriebs prüfen
Berlin - Die dubiose Geschichte ist einfach gestrickt, sorgt aber für mächtigen Aufruhr. Erzählt wird ein Wirtschaftskrimi, der von korrupten Politikern handelt, die einem Unternehmer Millionen abpressen, um eine versteckte Wahlkampagne zu finanzieren. Angesiedelt ist das Ganze nicht etwa im mafiösen Sizilien – es spielt im Freistaat Sachsen. In die Welt gesetzt worden ist die Story, von der die Illustrierte „Stern“ bereits die dritte Fortsetzung gedruckt hat, vom Pleitier Ulf Rittinghaus.
Der frühere Chef der Sachsenring Automobiltechnik AG (SAG) – der Trabi-Nachfolger meldete Ende Mai Insolvenz an – behauptet, im Zusammenhang mit dem Kauf der Dresdner Chip-Fabrik ZMD genötigt worden zu sein. Sein Konzern habe 1999 drei Millionen Mark in die Imageaktion „Sachsen für Sachsen“ stecken müssen, um den landeseigenen Betrieb ZMD übernehmen zu können. Im Gegenzug für diese Leistung, die der Wiederwahl von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) gedient haben soll, sei vom Freistaat die Subvention für die ZMD-Übernahme von 25 auf 29 Millionen Mark aufgestockt worden. Als Drahtzieher des anrüchigen Deals – Delikte wie Subventionsbetrug, illegale Parteienfinanzierung und Untreue im Amt stehen im Raum – nennt Rittinghaus in einer eidesstattlichen Versicherung den damaligen Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU). Der Ökonom im einstigen Biedenkopf-Kabinett geht jetzt seinerseits in die Offensive. Er hat mehrere eidesstattliche Versicherungen vorgelegt, die im Widerspruch zur Version von Rittinghaus stehen. Gegen den SAG-Chef sowie dessen Bruder Ernst-Wilhelm habe er Anzeige erstattet: „Unter anderem wegen des Verdachts der Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt.“ Darauf steht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Damit wird der vermeintliche Spendenskandal – die Opposition im Landtag ruft schon nach einem Untersuchungsausschusses – endgültig zum Fall für die Justiz. Und noch heikler: Auch die derzeitige Landesregierung, die mit Hochdruck verstaubte Akten über den ZMD-Verkauf sichtet, sieht inzwischen in der Affäre nicht mehr richtig durch. Das Dresdner Wirtschaftsministerium teilte am Freitag der WELT mit: „Wir erwägen, Strafanzeige gegen Personen der beiden beteiligten Firmen zu stellen“ – gemeint sind SAG und ZMD.
Nun bekannt gewordene Dokumente geben dem Krimi jetzt womöglich einen völlig neuen Dreh. Plötzlich steht nicht mehr eine versteckte Wahlkampfhilfe, wie der „Stern“ meint, im Zentrum des Interesses. Vielmehr geht es nun um ein merkwürdiges und womöglich anrüchiges Geschäft, dessen Hintergründe der SAG-Chef Rittinghaus erhellen könnte. Doch dieser sah sich am Freitag nicht im Stande, Fragen der WELT zu beantworten.
Zum Verständnis ist die Chronologie der ZMD-Privatisierung wichtig. Veräußert hat der Freistaat die Chipfirma an SAG mit Wirkung vom 1. Januar 1999. Der Kaufvertrag wurde am 21. Dezember 1998 unterschrieben. Die zugesagte Subvention für das Geschäft von 29 Millionen Mark wies das Land nach WELT-Recherchen am 29. Februar 1999 auf ein von der Deutschen Genossenschaftsbank geführtes ZMD-Konto. Die Rechtmäßigkeit des Vorgangs ist von Brüssel über ein Jahr lang intensiv geprüft und genehmigt worden. Handelte es sich doch um eine für den Steuerzahler günstige Lösung: Die Liquidation des 1998 stark konkursbedrohten ZMD hätte den Steuerzahler 60 Millionen Mark gekostet.
Doch während zwischen Freistaat und SAG noch hart um die Konditionen gerungen wurde, kam es bereits zu einer seltsamen Transaktion. Die Gesellschaft von Rittinghaus verkaufte am 17. September 1998 an den Noch-Staatsbetrieb ZMD eine Entwicklung, die so genannte Mobile Emissionsmessung (MEM) zur Feststellung von Autoschadstoffen, zum stolzen Preis von 25 Millionen Mark. Über den mysteriösen Vorgang wurden die Vertreter des Freistaates aber offenkundig weder von ZMD noch von SAG unterrichtet.
„ZMD stand damals am Rande des Bankrotts“, sagt Schommers Ex-Staatssekretär Wolfgang Vehse, „das Geld für den MEM-Ankauf war nicht vorhanden.“ Dennoch floss es 1999, nach Erhalt der Subventionen, plus Mehrwertsteuer in die Sachsenring-Kasse. Für den Beamten ist „absolut rätselhaft“, wie das Geschäft inmitten der Verkaufsverhandlungen zu Stande gekommen ist. Auch Helmut Ennen, der damals für den Freistaat im ZMD-Aufsichtsrat saß, kann sich nicht erinnern, dass die ZMD-Geschäftsführung seinerzeit den MEM-Erwerb dem Kontrollgremium zur notwendigen Genehmigung vorgelegt hat. Den Vorgang muss nun wohl das frühere ZMD-Management sowie Ex-SAG-Chef Rittinghaus der Justiz erläutern. Letzterem droht zudem womöglich ein Verfahren wegen Konkursverschleppung. Der WELT liegt ein Schreiben der Chefs der wichtigsten SAG-Tochter an den Vorstand vor. Darin wird der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit per Ende April 2002 mitgeteilt. Doch der Gang zum Amtsgericht ließ auf sich warten.
Wie auch immer der Wirtschaftskrimi ausgehen mag: Die Geschichte ist noch für Fortsetzungen gut.
(von Uwe Müller)