Sächsische Zeitung, 03.05.2003
Bundesverwaltungsgericht als "Schiedsrichter"
Komplettes Gericht befangen oder abgelehnt
DRESDEN. Die Sache ist kurios und in der deutschen Justiz beinahe einzigartig: Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen hat einen Fall an das Bundesverwaltungsgericht weitergegeben, weil alle 13 Bautzener OVG-Richter möglicherweise befangen sind. Zwei Richter hatten sich für befangen erklärt, andere wurden vom Kläger beziehungsweise vom Beklagten abgelehnt. Die Bundesrichter prüfen jetzt, ob auch sie das Oberverwaltungsgericht für entscheidungsunfähig halten. Dann müssten sie ausnahmsweise ein anderes Oberverwaltungsgericht außerhalb Sachsens für zuständig erklären. Nach Angaben von Wolfgang Sailer, Sprecher des Bundesverwaltungsgerichts, gab es eine ähnlich vertrackte Situation bundesweit erst ein Mal.
Hintergrund ist die Klage eines Dresdner Verwaltungsrichters, dessen Bewerbung um eine Beförderungsstelle beim OVG nicht berücksichtigt worden war. Er wehrte sich erfolgreich in erster Instanz gegen die Personalentscheidung. Das Justizministerium legte Beschwerde ein – und zwar beim OVG. Dort arbeitet aber auch der direkte Konkurrent des Klägers, ein weiterer Bewerber sowie zwei Richter, die im Präsidialrat an der umstrittenen Personalauswahl mitgewirkt haben. Ein Ablehnungsantrag folgte dem anderen. Am Schluss lehnte der Kläger sogar die gesamte Richterschaft in Bautzen ab, weil Gerichtspräsident Siegfried Reich persönlich in dem Rechtsstreit die Interessen des Justizministeriums vor den Gerichten vertrat.
Das sei für den Kläger nicht zumutbar, sagte dessen Rechtsanwalt Wolfram Vögele. Die Bautzener Richter unterlägen der Dienstaufsicht des Gerichtspräsidenten. Deswegen sei eine unabhängige Entscheidung in dieser Sache fraglich. Sie müssten schließlich mit beruflichen Konsequenzen rechnen, wenn sie gegen ihren eigenen Präsidenten entscheiden würden. Das Bundesverwaltungsgericht muss die Befangenheit jedes einzelnen Richters klären. Wegen des „erkennbaren Eilbedürfnisses“ sei bald mit einem Beschluss zu rechnen, sagte Sailer.
(Von Karin Schlottmann)
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Anmerkung von
Karl Nolle, MdL: Zu den hier streitigen Sachverhalten, Richterrechtsverfahren und Konkurrentenklagen siehe auch auf dieser Homepage unter Presse/Medien Sächsische Zeitung vom 4.7.02, Morgenpost vom 6.7-02 sowie meine PM vom 21.1.03. Siehe ganz besonders auch die Homepage zum Thema:
http://www.gewaltenteilung.de