Die Zeit/ Nr. 20, 08.05.2003
Erst kassieren, dann abmarschieren?
Mit seinen Plänen, ins Ausland abzuwandern, heizt Infineon-Chef Schumacher den Streit um die Verteilung der Steuerlasten an
infenion - Er gilt als forsch, manche nennen ihn auch dreist. Ulrich Schumacher, der Chef des deutschen Chipherstellers Infineon, will möglichst bald Nägel mit Köpfen machen – und ins Ausland abwandern. Nicht allein, sondern mit der gesamten Firmenzentrale. Wegen der (zu) hohen Steuern hierzulande. Doch der Aufsichtsrat stoppte seinen Topmanager vergangene Woche – erst einmal. Und das aus gutem Grunde. Schumachers Pläne nähren das Bild vom verantwortungslosen Unternehmer, der erst kassiert und dann abmarschiert; ausgerechnet in einer Zeit, in der die Debatte um die Verteilung der Lasten das Land wie nie zuvor zerreißt.
Mit seinem kühnen Plan gießt Schumacher Öl ins Feuer. Wolfgang Müller von der IG Metall Bayern und Mitglied im Aufsichtsrat des Unternehmens findet den Vorschlag so unglaublich, dass er nur noch mit der Frage kontert, warum man die Zentrale nicht nach Bagdad verlege. Schumacher, der auch schon mal ungeniert im Rennfahrer-Outfit mit einem Porsche posiert, präferiert derweil die Schweiz. Unbeirrt lässt er denn auch weiter prüfen, in welches Steuerparadies er umziehen könnte.
Mit Beifall reagierten etliche Wirtschaftsfunktionäre. Der unerschrockene Macher aus München schaffte es sogar auf die Titelseite des Wall Street Journal. Das Blatt nahm Schumachers Vorstoß zum Anlass, seinen Lesern zu erklären, wie schlecht es um den Standort Deutschland stehe. Es sei damit zu rechnen, dass andere seinem Vorbild folgten.
Derlei Prophezeiungen sind nicht neu: Die Drohungen aus Kreisen der Industrie, ins Ausland zu flüchten, sind fast so alt wie der Standort Deutschland selbst. Und sie zeigten inzwischen längst Wirkung. So hat ausgerechnet die rot-grüne Regierung die Unternehmensteuern spürbar gesenkt. Nimmt man nur die Körperschaftsteuer, die Kapitalgesellschaften auf ihre Gewinne zahlen müssen, liegt Deutschland im weltweiten Vergleich mit 25 Prozent inzwischen am unteren Ende der Skala.
Allerdings kommen hierzulande noch die Gewerbesteuern hinzu. Zusammen ergibt sich ein durchschnittlicher Satz von 39 Prozent; zuvor wurden 52 Prozent fällig. Immerhin kann sich Deutschland nun wenigstens mit den Vereinigten Staaten messen. Dort liegt der Steuersatz auf gleicher Höhe. Zudem verzerrt die isolierte Betrachtung dieser Zahlen das Bild.
Abschreibungsregeln und andere Spezialitäten im deutschen Steuerrecht lassen die tatsächliche Belastung oft weiter schrumpfen. Doch im globalen Wettbewerb der Staaten um die niedrigsten Abgaben bleiben derlei Argumente meist außen vor. Und gegen die Schweiz dürfte der deutsche Finanzminister immer den Kürzeren ziehen. Denn dort lassen die Behörden der Kantone sogar mit sich handeln.
In der deutschen Staatskasse herrscht derweil Ebbe. Das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer rutschte von plus 23,6 Milliarden im Jahr 2000 im Folgejahr sogar ins Minus (siehe Grafik). Im vergangenen Jahr erreichte es gerade einmal knapp eine Milliarde Euro. Der Einbruch hängt allerdings nur zum Teil mit dem niedrigeren Steuersatz zusammen. Eichels Experten hatten nicht damit gerechnet, dass die Konjunktur so stark einbricht. Und noch etwas konnten sie nicht ahnen: Viele Unternehmen nutzen verstärkt alte und neue Regeln, die dazu führen, dass sie Steuern zurückbekommen – und sogar über ein Guthaben beim Finanzamt verfügen.
Jeder nimmt halt, was er kriegen kann. Mit dem Geben ist es indes nicht so weit her. Infineon hat sich für den Finanzminister nicht gerade als sprudelnde Steuerquelle erwiesen. Das Unternehmen ist ein Sprössling des Elektroriesen Siemens, spaltete sich 1999 ab, beschäftigt weltweit rund 30000 Menschen und schreibt einen Umsatz von rund 5,2 Milliarden Euro. Damit zählt es zu den führenden Chipherstellern dieser Welt.
Während der vergangenen fünf Jahre, also auch noch unter dem Dach des Siemens-Konzerns, musste Schumacher nur ein einziges Mal einen Steueraufwand verbuchen. Das war im Jahr 2000, als Infineon einen Gewinn erwirtschaften konnte. Ansonsten liefen die Geschäfte eher schlecht. Ohne Gewinne aber auch keine Abgaben. Ganz im Gegenteil: 1998 waren es satte 907 Millionen, im Jahr darauf 30 Millionen, 2001 rund 430 Millionen und 2002 immerhin noch 140 Millionen Euro, die sogar als Ertrag bei den Steuern in die Unternehmensbilanz eingingen.
Selbst wenn Infineon bald wieder schwarze Zahlen schreibt, kommt dem Unternehmen erst einmal sein Verlustvortrag zugute; bislang immerhin fast zwei Milliarden Euro. Die dürfen mit den Gewinnen verrechnet werden, bevor der Fiskus wieder zuschlägt. Schumacher könnte also eigentlich ganz gelassen sein.
Zudem dürfte ihm und seinen Finanzexperten die Auswanderung noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Das Vorhaben ist nämlich hoch komplex. Obwohl Steuerexperten grundsätzlich derlei Ideen nachvollziehen können, geben sie zu bedenken, dass „vermutlich wenig passieren wird, wenn nur das Management ins Ausland geht“, sagt zum Beispiel Jens Blumenberg, Partner bei der internationalen Kanzlei Linklaters, Oppenhoff und Rädler in München. Würde aber zusätzlich auch der juristische Sitz des Konzerns verlegt, „wird es richtig kompliziert“. Auch Hardwig Welbers von Pricewaterhouse Coopers in Düsseldorf gibt zu bedenken, dass „man der Steuerpflicht nicht einfach entrinnen kann, indem man die Konzernzentrale ins Ausland verlegt“. Das sei leichter gesagt als getan.
Hat sich Schumacher etwa zu weit vorgewagt? Mit seiner, wenn auch bislang nur verbalen, Initiative avancierte er zum Hoffnungsträger für all jene, die bislang diesen Schritt noch nicht wagten. Und jetzt muss er noch weitere Erwartungen erfüllen. Ein Konzern, der seinen Steuernachteil nicht beseitige, werde vom Kapitalmarkt „gesteinigt“, sagt er. Oder von der Öffentlichkeit.
Infineon ist nämlich nicht irgendein Unternehmen, das nur seine Gestaltungsspielräume beim Steuerrecht nutzen will. Der Chiphersteller stand stets in der ganz besonderen Gunst des Staates. Gleich mehrmals haben alle anderen Steuerzahler den Konzern kräftig subventioniert. So spendierten der Bund, das Land Sachsen sowie Brüssel eine Milliarde Mark, als Siemens Anfang der neunziger Jahre beschloss, mit seiner Chipfertigung nach Dresden zu gehen. Und für die zweite Fabrik dort legten Bundes- und Landesregierung gerade noch einmal fast 220 Millionen Euro oben drauf.
Verständnislos reagiert deshalb auch
Karl Nolle. Er sitzt für die SPD im Sächsischen Landtag. „Wie soll ich den Bürgerinnen und Bürgern die Frage beantworten, warum einige Firmen in großem Umfang subventioniert werden und sie dann trotzdem ins Ausland abwandern?“ Nur zu lamentieren, das liegt Nolle nicht. Deshalb lud er Schumacher prompt nach Dresden ein. Der muss das wohl als Drohung missverstanden haben. Denn zum Gespräch geladen werden sollten auch die Chefs kleiner und mittelständischer Unternehmen. Schumacher kam nicht. Er schickte einen Abgesandten.
Was die heutigen Macher auf der Vorstandsetage vielleicht allesamt nicht mehr wissen: Auch schon früher konnte sich der Konzern auf den Staat verlassen. Beispielsweise in jener Zeit, in der man in Europa fürchtete, den Anschluss bei der Mikroelektronik zu verlieren. Damals erhielt Siemens bereits Subventionen in Höhe von 240 Millionen Mark – zur Forschung und Entwicklung von Speicherchips, bei denen seinerzeit die Japaner die Nase vorn hatten. Das war vor 15 Jahren nicht nur eine kleine Sensation, sondern auch eine Menge Geld, ohne das es Infineon heute womöglich gar nicht gäbe. Und Schumacher als Chef dann natürlich auch nicht.
(Gunhild Lütge)