Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 07.06.2003

Heimliche Hoffnung auf neue Vorwürfe

Der Fall Weber: Die CDU staunt über den Schwächeanfall Milbrads - Bellmann: "Kein Koppelgeschäft"
 
DRESDEN. Unwohl ist es dem Ministerpräsidenten des Freistaates in diesen Tagen, wenn morgens die gesammelten Pressestimmen studiert. Georg Milbradt, der Politikmacher, ist auf die Passivseite gerutscht. Die "Kraft der Visionen", die dem Sachen-Premier nach dem erfolgreichen Flutmanagement in einem eilig geschriebenen Buch attestiert wurde, hat Milbradt bei der Bewältigung einer Personalfrage verlassen.

Die einhellige Ablehnung seines Zauderns im Fall der von seinem Innenminister freigesprochenen Sozialministerin Christine Weber trifft den Ministerpräsidenten hart. Milbradt hatte sich grosse Mühe um ein besseres Erscheinungsbild auf der großen Politik-Bühne gegeben. Wenn die Stimme Ostdeutschlands gefragt war, dann bisher meist die von Bernhard Vogel oder Wolfgang Böhmer.

Auch in der sächsischen CDU wächst die Verwunderung über das Schweigen Milbradts - und die Angst, den Fall Weber als Dauerbelastung zu behalten. "Für uns ist die sofortige Ablösung Webers eine Frage der inneren Glaubwürdigkeit", sagt eine Landtagsabgeordnete. So lange Weber noch Ministerin ist, will sie ungenannt bleiben. Auch Fraktionsvorsitzender Fritz Hähle bleibt in Deckung. "Personalentscheidungen sind Sache des Ministerpräsidenten", weicht er aus. Hähle, als Fraktionsvorsitzender früher von Milbradt hart getadelt und von diesem mit einem Versprechen frischer Ideen als Parteichef abgelöst, hat sich mit loyalem Verhalten das Vertrauen des Ministerpräsidenten verschafft, nach Meinung von Kritikern aber das Profil der Mehrheitsfraktion zu wenig geschärft.

Nächste Woche wird die Opposition den Schwächeanfall der Regierung im Landtag in den Mittelpunkt stellen. Ob Milbradt vorher die Reißleine ziehen und oder mit heruntergezogenem Visier die Versorgungsansprüche seiner unhaltbar gewordenen Sozialministerin über die 51 Tage-Grenze retten will, ist zur Zeit Gegegnstand intensiver Krisengespräche. Die negative Stimmung an der Basis und die Führungslosigkeit in Webers Ministerium könten eine swchnelle Lösung forcieren.

Mit fast paradoxer Sehnsucht wartet die Führungsetage, dass neue Vorwürfe die Hängepartie rasch beenden könnten. Getern wurde ein weiterer Vorwurf bestätigt. Weber und ihre Parteifreundin Veronika Bellmann sollen gegenseitig Verwandte als Wahlkreismitarbeiter beschäftigt haben. So setzte die heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Bellmann die Webertochter Katja auf ihre Gehaltsliste, während die Sozialministerin Christoph Seifert, Sohn eines Bellmann Schwagers für sich arbeiten ließ. Laut der Bestimmungen des Sächsischen Landtages wäre es Weber verboten gewesen, die eigene Tochter zu beschäftigen. Die Bestimmungen untersagen den Abschluss von Arbeitsverträgen mit Ehegatten, Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grade. Für den Einsatz von Mitarbeitern zahlt der Landtag 2164 EUR monatlich. "Katja Weber hat für mich einen Presseausschnittdienst gemacht", sagte Bellmann gestern der "Freien Presse". Es habe sich um einen geringfügig bezahlten Job gehandelt, von einem "Koppelgeschäft" könne keine Rede sein. "Ich suche meine Mitarbeiter selbst aus", betonte Bellmann.

Für Sachsens "Chefaufklärer" Karl Nolle (SPD) sieht der Fall dagegen völlig anders aus. Er spricht von der "Spitze des Eisberges", "kreativer Nachbarschaftshilfe" und von einem "Problem Milbradt". Manches rieche nur streng, manches sei justiziabel.

Unbeantwortet ist weiterhin auch die Frage, warum die Rechnung des Weberschen Diensthandys ab September 2000 sprunghaft in die Höhe geschnellt ist. Offensichtlich begnügt sich Staatskanzlei-Chef Stanislav Tillich (CDU) mit der Bestätigung Webers, sie habe ihr Handy nicht an ihre Wahlkreismitarbeiterin im Landratsamt Marienberg ausgeliehen. Dort findet übrigens kaum eine Trennung zwischen Verwaltung und Parteibüro statt. Wenn Webers Mitarbeiterin den Apperat nicht abhebt, meldet sich die Zentrale des Landratsamtes.
(von Hubert Kemper)

Karl Nolle im Webseitentest
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