Freie Presse, 17.06.2003
Schadensbegrenzung
Abschluss des Falles Weber erfordert Fingerspitzengefühl
Es gibt gute Gründe, Christine Weber abzuschirmen. Die Gesundheitsministerin benötigt Ruhe. Die wird sie finden, wenn ihr die Bürde eines Amtes genommen ist, das ihre Kräfte überfordert hat. Auch das entspricht der Fürsorge, der sich der Ministerpräsident verpflichtet fühlt.
Es gibt gute Gründe, den Standort der Nervenklinik geheim zu halten. Gab es diese auch, um der Öffentlichkeit den Grad der Depression mitteilen zu lassen?
Der Manövrierspielraum des sächsischen Ministerpräsidenten wird durch die Selbstmord-Gefährdung eingeengt, von der seine Ministerin Weber berichten ließ. Nur in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt kann nun eine Lösung herbeigeführt werden.
Doch der Regierungschef trägt neben der menschlichen vor allem eine politische Verantwortung. Die drängt immer heftiger nach einer Entscheidung. Er steht unter dein Druck der Parteibasis, seines eigenen Apparats und letzthin auch der großen Boulevard-Medien. Dem eisernen Spar-Kommissar werden die Tage bis zu Webers Pensionsgrenze vorgerechnet. Das neue Image des Landesvaters, der wie Biedenkopf gestolperte Minister über die Runden rettet, ist im Volk noch nicht angekommen. Zugleich erhält das Bild des tatkräftigen Managers der Flutkatastrophe Risse.
Wer vom Rathaus kommt ist klüger, heißt es. So weiß auch Milbradt, was er Weber mit einer schnellen Entscheidung hätte ersparen können. Seinem Unterschätzen der Dynamik des Falls ist auch der hinkende Vergleich mit Kurt Biedenkopf zuzuschreiben. Mit dem Vorwurf, wieder „jemanden zur Strecke bringen zu wollen" hat Milbradt dünnes Eis betreten. Er weiß, dass er auch bei Kampagnen-Vorwürfen argumentativ in der Klemme sitzt.
Drei Wochen nach dem Bekanntwerden der Weber-Affären zeichnet sich aber eine schnelle Entscheidung ab. Die Regierung will nun die Reißleine ziehen, die Ministerin wird nicht in ihr Amt zurückkehren. Sie soll auch nicht über die Pensionsanspruchsgrenze getragen werden.
Das Störpotenzial einer kollegialen Lösung wäre verheerend. Der Abschluss der leidigen Geschichte erfordert viel Sensibilität - im Umgang mit der kranken Ministerin und mit einer Bevölkerung, die den Glauben an die Politik nicht vollständig einbüßen will.
(Hubert Kemper)