Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 19.06.2003

Ein Abschied mit spitzen Fingern

Ministerpräsident Milbradt erhält von seiner Sozialministerin Weber die sehnlichst erwartete Rücktrittserklärung
 
Am Ende waren noch einmal zweieinhalb Stunden nötig. Doch als Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) am Dienstagabend das Krankenbett seiner Kabinettskollegin Christine Weber (CDU) verließ, konnte er das entscheidende Schreiben im Aktenkoffer mit nach Dresden nehmen. Die Sozialministerin, der Ärzte nach einem schweren Nervenzusammenbruch akute Suizidgefahr bescheinigen, gibt auf. Mit Verweis auf ihren gesundheitlichen Zustand erklärte Weber, die 1999 unter Kurt Biedenkopf erstmals Ministerin wurde, ihren Rücktritt aus dem Kabinett.

Damit endet das erste Kapitel einer Affäre, in der zuerst die Ministerin permanent in die Enge getrieben wurde. War es zunächst ihr umstrittener Antrag auf Fluthilfe für ihr vom Regenwasser beschädigtes Privathaus, so sah sich Weber später täglich Vorwürfen über ihre zögerliche Amtsführungen, den Gebrauch von Diensthandys oder der Beschäftigung der Verwandtschaft von Parteifreunden in ihrem Wahlkreisbüro ausgesetzt. Schlag auf Schlag folgte, ohne dass sich die Attackierte rechtzeitig erholen konnte. Tragisch: Der Handtuchwurf erfolgte trotzdem erst, nachdem Weber schon k.o. in der Ringecke lag.

Aus dem Grund muss sich nun aber auch Milbradt, der immer wieder sein Bedauern über den „erschreckenden Zustand“ seiner Ex-Ministerin äußerte, erklären. Zu lange hatte er tatenlos zugesehen. Zu lange hielten sich politisches Kalkül und persönliches Mitgefühl die Waage. Sein Zögern bringt ihn nun selbst in die Bedrängnis, weil es mächtig am Bild des umsichtigen und fluterprobten Landesherrn kratzt. Etwas, das Sachsens Regierungschef vor seiner für Herbst geplanten Bestätigung als CDU-Landeschef sowie vor der Landtagswahl 2004 vermeiden wollte.

Trotz Webers Rückzug zögert er aber beim Krisenmanagement in eigener Sache. Einen Nachfolger für die gescheiterte Ministerin präsentierte Milbradt gestern nicht. Aus taktischen Gründen, wie sein Umfeld streute. Wegen einer neuen Notlage, meinen Insider. Milbradts Wunschkandidat, Sozialstaatssekretär Albin Nees, erfüllt nämlich nicht die Wunschvorgaben der CDU-Landtagsfraktion. Dort wünschen sich etliche Mitglieder wieder eine Frau aus ihren Reihen an den Kabinettstisch. Formal läuft dies vor allem auf die intern anerkannte Leipziger Sozialexpertin Christine Clauß heraus, der jedoch bisher jegliche Führungserfahrung fehlt. Nun hat hinter den Kulissen ein Tauziehen eingesetzt. Ausgang ungewiss. Auch weil Milbradt „die Personalie am Ende doch wieder unter zwei Augen entscheidet“, wie ein Fraktionär süffisant bemerkte.

Somit ist es erst einmal an der Opposition, in die offene Wunde zu hauen. Webers Rücktritt komme viel zu spät, kritisierte PDS-Fraktionschef Peter Porsch und hielt Milbradt vor, im Fall Weber selbst für die „unappetitliche Verquickung von Krankheit, Pensionsansprüchen und politischen Fehlern“ in der Öffentlichkeit gesorgt zu haben. Und Porsch, dessen Fraktion für Freitag „Die schwindende Leistungsfähigkeit des Kabinetts Milbradt und seine Folgen für Sachsen“ zum Tagesordnungspunkt im Landtag gemacht hat, hakte nach. Das jetzige Bauernopfer sei keine Lösung, eine Kabinettsreform überfällig. In die gleiche Kerbe schlug der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Jurk. „Das ist keine Sahne, das ist Magermilch“, erklärte er mit Verweis auf die aktuelle Kabinettszusammensetzung. Offenbar habe Milbradt keinerlei Antworten auf die quälenden Personalfragen.

Nicht zuletzt warnte der Bund der Steuerzahler, dass die Affäre um die Ex-Sozialministerin noch nicht abgeschlossen ist. So hätte sich Weber mit ihrem Rückzugstermin zwar um ihre zuvor heftig diskutierten Ansprüche auf ein Ruhegehalt gebracht. Doch eine Lücke im Ministergesetz, so der Verband, könnte ihr unter Umständen doch zu einer üppigen Pension verhelfen. Tatsächlich ist dort festgelegt, dass man auch ohne die notwendige Amtsdauer von vier Jahren Ansprüche hat. Einzige Voraussetzung: Der oder die Betroffene ist beim Ausscheiden aus dem Amt „dauernd“ und „wesentlich“ in seiner Gesundheit beeinträchtigt.
(Gunnar Saft)

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