junge Welt, 19.06.2003
Amigos in Sachsen
Untersuchungsausschuß zur »Affäre Paunsdorf« stellte Biedenkopf und Milbradt Persilscheine aus
Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) will sparen helfen und schlägt vor, Arbeitenden Zulagen zu streichen. Dabei ist Sachsen Beispiel, wie Politik Steuergelder verschenkt. Dafür steht unter anderem der Bau eines Behördenzentrums im Leipziger Stadtteil Paunsdorf. Von der »bisher größten bekannten Steuergeldverschwendung durch schwarzen Filz« in Sachsen spricht PDS-Mann André Hahn. Er war stellvertretender Vorsitzender des Untersuchungsausschusses des Sächsischen Landtags, der sich drei Jahre lang mit den Vorgängen um den Bau beschäftigte. Der Schaden betrage zwischen 118 und 138 Millionen Euro. Hahn kündigte vergangene Woche eine Strafanzeige der PDS gegen Ministerpräsident Milbradt und Vorgänger Kurt Biedenkopf, beide CDU, an. »Verdacht auf Untreue zum Nachteil des Freistaates Sachsen«, »Begünstigung sowie Beihilfe zur Steuerhinterziehung« lauten die Vorwürfe. Für Karl Nolle, Obmann der SPD-Fraktion im Ausschuß, handelt es sich um einen weiteren Fall von politischer Korruption im Freistaat.
Am Montag trat der Ausschuß zu seiner vorläufig letzten Sitzung zusammen. Im September wird sich der Landtag in Dresden mit den Ergebnissen beschäftigen. Die Vorwürfe gegen Biedenkopf und Milbradt seien falsch, heißt es im vorläufigen Ausschußbericht. Dem Freistaat sei durch den Bau in Paunsdorf »kein Schaden entstanden«. So sieht es zumindest die CDU-Mehrheit (sieben Mitglieder) im Untersuchungsausschuß. Die drei PDS-Vertreter sowie Nolle kündigten ein Minderheitsvotum an.
Der Bürokomplex neben dem »Paunsdorf-Center« war Anfang der 90er Jahre von dem mit Biedenkopf befreundeten Kölner Investor Heinz Barth errichtet worden. Der Freistaat hat in dem Bau am Rande von Leipzig rund 53000 Quadratmeter angemietet. 1997 wurde ein geänderter Mietvertrag mit einer Laufzeit von 25 Jahren und 23,57 DM pro Quadratmeter abgeschlossen. Der Landesrechnungshof hatte bereits 1996 überhöhte Mieten gerügt und vertragliche Änderungen gefordert. In dem Behördenzentrum sind unter anderem der Rechnungshof, das Leipziger Polizeipräsidium und das sächsische Staatsarchiv untergebracht.
Der Untersuchungsausschuß war im April 2000 auf Antrag der PDS beschlossen worden. Biedenkopf wurde vorgeworfen, einen erhöhten Preis für die Anmietung des von seinem Duzfreund Barth errichteten Gebäudes durchgesetzt zu haben. SPD und PDS warfen dem Exregierungschef zudem vor, in diesem Zusammenhang bei einer früheren Aussage vor dem Ausschuß gelogen zu haben. Barths Wünsche in Sachen Miete aus einem Brief an Biedenkopf waren von diesem anscheinend direkt an den damaligen Finanzminister Milbradt weitergegeben worden. Der setzte die Vorgaben um, obwohl selbst Mitarbeiter des Ministeriums auf die zu hohen Mieten sowie schlechte Vertragsbedingungen hingewiesen hatten und 15 DM für ausreichend hielten.
Für PDS-Vertreter Hahn ist die Ignoranz der CDU gegenüber den Fakten eine »bodenlose Unverschämtheit« und deren Behauptung, die Verträge seien langfristig sogar von Vorteil für die Steuerzahler, der »Gipfel der Unverfrorenheit«. Die zu hohe Miete werde aufgrund des vertraglichen »Mischmietpreises« selbst für den Hundezwinger der in Paunsdorf stationierten Polizeistaffel gezahlt. Für den SPD-Abgeordneten
Karl Nolle zeigt der Fall, »wie groß das Maß an politischer Korruption in Sachsen ist«. Er sieht neben dem materiellen auch einen großen politischen Schaden. Den Bau des Behördenzentrums bezeichnete er gegenüber jW als »klassisches Amigo-Geschäft«. Es sei »nicht auszuschließen«, daß Gegenleistungen aus Köln kamen, erklärte Nolle gegenüber jW. Dafür gebe es zwar keine Beweise, meinte auch der PDS-Abgeordnete Hahn. Aber der Focus habe vor drei Jahren von einer Spende Barths in fünfstelliger Höhe an die sächsische CDU berichtet. Es gebe verschiedene Varianten, sich »dankbar« zu zeigen, meinte Nolle mit Blick unter anderem auf das Institut von Meinhard Miegel, eines anderen Biedenkopf-Freundes. Das »Institut für Wirtschaft und Gesellschaft« in Bonn arbeitet auf Spendenbasis und liefert soziologische Munition für den Krieg gegen den Sozialstaat.
Biedenkopf bestritt lange Zeit alle Vorwürfe in bezug auf Paunsdorf, bis Dokumente die enge Verbindung belegten. »Barth hat tatsächlich seinem Freund Biedenkopf die Hand geführt, als dieser Mietpreise und alle Konditionen im Barth-Wortlaut an den Finanzminister weiterleitete. Wobei er sogar noch Rückkaufkonditionen zu Lasten des Freistaates verschlechterte«, erklärte Nolle.
Der Rücktritt Biedenkopfs im vergangenen Jahr wird auch der Arbeit des Untersuchungsausschusses und dem, was er ans Licht brachte, gutgeschrieben. Es handelt sich nur um ein Beispiel aus einer Reihe von Skandalen von »König Kurt«, vom IKEA-Rabatt für seine Frau, geringen Mieten für die Dienstwohnungen bis zu kostenlosen Flügen und Schiffsfahrten mit befreundeten Geschäftsleuten wie Barth, die »Biedenkopfjäger« Nolle erfolgreich in die Öffentlichkeit brachte.
Barth sei »begeistert von den Aufgaben, die in Leipzig auf ihn warten«, notierte Biedenkopf am 31. Januar 1990 in seinem 2000 veröffentlichten »deutschen Tagebuch«. 1,3 Milliarden DM insgesamt investierte der Kölner »Immobilienkönig« Barth in Leipzig-Paunsdorf. Der jW-Autor Werner Rügemer aus Köln bezeichnete ihn als »geübten Dompteur deutscher Stadtverwaltungen«, der Zustimmungen zum Bau von Großmärkten und Bürokomplexen mit »ein paar sozialen Wurstzipfeln« belohne. »Spekulation und Klüngel haben viele Namen«, ist auf der Internet-Seite der Kölner Grünen zu lesen. In Köln stehe dafür das Mitte der 90er entstandene »Barthonia-Center« im Stadtteil Ehrenfeld, das der Namensgeber »unter Umgehung aller politischen Kontrolle« habe bauen können. »Die Vertreter der Stadtverwaltung agieren öffentlich im Sinne von Barth«, erklärte der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff 1995 in einem Interview. Ähnlichkeiten mit den Vorgängen in Leipzig scheinen nicht zufällig zu sein.
(Tilo Gräser)www.jungewelt.de