Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland - Online, 03.06.2003

Ausreißer aus dem Mittelmaß

Das Regierungsschiff des Freistaates kämpft vermehrt mit Zündaussetzern
 
Halbe Kraft voraus zur Wahl – so lautet die Devise auf dem Dresdner Regierungsdampfer. Doch jetzt sorgen politische Pannen und personelle Schwächen für Unruhe auf der Brücke.

Vor einigen Wochen wurde in der sächsischen Politik ein kleines Jubiläum gefeiert. Ein Jahr war es her, dass Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) von seinem Parteifreund und Intimfeind Kurt Biedenkopf die Amtsgeschäfte übernommen hatte. Er berief ein paar neue Gesichter in die Landesregierung, versprach ansonsten aber stabilen Kurs, sprich: Biedenkopfsche Politik ohne Biedenkopfs Aura.

In den Analysen des ersten von zwei Amtsjahren vor der Landtagswahl 2004 dominierte nun die Vorsilbe »un-«. Unauffällig, unspektakulär, uninspiriert – so wird die Politik der Milbradt-Mannschaft beschrieben. Nach dem Abgang des charismatischen Biedenkopf sei der Freistaat in »trister Länder-Normalität angekommen«, schrieben Kommentatoren. Die Devise im Kabinett scheint zu lauten: Durchwursteln und möglichst wenig Aufsehen erregen. Doch selbst diesem Anspruch wird nur ein Teil der Ministerriege gerecht. Aus dem Maschinenraum des Regierungsdampfers werden vermehrt Zündaussetzer vermeldet. Einige Minister fallen aus dem bewährten Mittelmaß heraus – und auf die Nase.

Das einzige Flutopfer hoch oben am Hang

Jüngstes Beispiel ist Sozialministerin Christine Weber. Die Erzgebirglerin macht dieser Tage nicht durch ambitionierte Beiträge zur Gesundheitsdebatte oder ein Machtwort bei der Aushöhlung des Anspruchs auf Kinderbetreuung im Freistaat von sich reden. Nachdem ihr Kenner schon lange eine katastrophale Personalführung attestieren, gibt es jetzt den Vorwurf des fragwürdigen Abkassierens von Fluthilfe-Geldern. Die stellvertretende CDU-Landesvorsitzende soll 15000 Euro erhalten haben, um Schäden an ihrem Privathaus in Zschopau zu beheben. Das Gebäude liegt in einer Siedlung hoch am Hang; Weber ist dort das einzige Flutopfer.

Ob die Politikerin das Geld rechtmäßig empfangen hat, ist noch strittig. Eine Regelung, wonach Schäden durch Oberflächenwasser nicht ersetzt werden, war erst nach der Bewilligung ihres Antrages bei den Behörden angekommen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle wirft der Ministerin, deren Jahresgehalt mit 150000 Euro angegeben wird, aber »fehlende Sensibilität« vor. Jetzt prüft das Innenministerium den Fall. Seit er publik wurde, werden fast täglich neue Vorwürfe gegen die Ministerin lanciert, weswegen PDS-Fraktionschef Peter Porsch im Kabinett bereits eine »Leitkultur des Mobbing und der Intrige« ausmacht.

Weber ist nicht der einzige Ausfall in der Regierung. Weniger durch persönliche Verfehlungen als durch eine anhaltende Serie von politischen Pannen fällt der Ressortchef für Inneres, Horst Rasch, auf. Er erwarb sich den Beinamen »der Glücklose«, nachdem ihm Milbradt während der Flut die Show gestohlen hatte und eines seiner politischen Vorhaben nach dem anderen gegen den Baum läuft.

Jüngstes Beispiel ist der Landesentwicklungsplan (LEP). Das Papier sorgt wegen der »Degradierung« vieler so genannter Mittelzentren für Empörung und wurde dem Minister jetzt selbst von den eigenen Abgeordnetenkollegen um die Ohren gehauen. Es bleibe »in wesentlichen Punkten hinter den Möglichkeiten zurück«, hieß es aus der CDU-Fraktion. Einem anderen Gesetz aus Raschs Haus, mit dem der Verfassungsschutz gegen die Organisierte Kriminalität mobilisiert werden soll, bescheinigen die Landtagsjuristen ein beachtliches »verfassungsrechtliches Restrisiko«.

Minister wünscht sich Transrapid nach Berlin

Tröstlich dürfte für Rasch nur sein, dass auch andere Minister enttäuschen. Wirtschaftskollege Martin Gillo etwa, der vor seiner Berufung Manager beim Elektronikkonzern AMD war und als Seiteneinsteiger mit Vorschusslorbeeren überhäuft wurde, hat seither lediglich sein Ministerium umfassend desorganisiert. Die Mittelstandspolitik wird dagegen inzwischen nicht nur von der Opposition, sondern auch aus der eigenen Fraktion offen kritisiert. Gillos Gegenoffensiven arten häufig zu politischen Stilblüten aus. Jüngstes Beispiel sind Forderungen nach einer Transrapid-Verbindung zwischen Berlin und Sachsen.
Dass der träge sächsische Regierungsdampfer durch solche Fehlbesetzungen völlig aus dem Ruder laufen könnte, erwartet in Dresden niemand ernsthaft. Porsch fordert aber eine grundlegende Kabinettsumbildung noch vor der Sommerpause.

Minister, die sich als »Totalausfälle« erwiesen hätten, müssten gehen.

Milbradt, sagt Porsch, müsse ein Zeichen setzen, dass er nicht Partei oder Fraktion, sondern dem Land dient. Und auch in der eigenen Partei dürften Aufforderungen wie die von CDU-Fraktionschef Fritz Hähle, wonach Milbradt die Legislaturperiode mit seiner jetzigen Mannschaft zu Ende bringen solle, inzwischen mit Fragezeichen versehen werden. Der Regierungschef wird wohl in den Maschinenraum abtauchen und notfalls auch ein paar Zündkerzen wechseln müssen.
(Hendrik Lasch)

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: