Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, Seite 3, 29.07.2003

Der Schloss-Krimi von Rammenau

Ein Mann sucht seinen Beinahe-Mörder- obwohl es einen geständigen „Täter", ein Urteil und eine bereits verbüßte Haftstrafe gibt
 
RAMMENAU. Es ist eine dieser Kulissen, in der üblicherweise TV-Serien spielen. Da gibt es ein schönes Barockschloss in ländlicher Idylle, das nach allen Seiten hin kunstvoll beabsichtigte Heiterkeit versprüht; in dessen Park auch die Hortensien historischer Üppigkeit verpflichtet scheinen und wo hinter dem Park ein gut gepflegter Golfplatz nichts weiter ahnen lässt, als dass wir uns im Hier und Jetzt nobler Zerstreuungsmöglichkeiten befinden. Während in der Fernsehserie nun die Damen und Herren „von" und „zu" die Szene zu betreten pflegen, betritt im echten Leben ein 63-jähriger Mann den Golfplatz hinter dem sächsischen Barockschloss Rammenau in der Oberlausitz: eigentümlich steif in seinem Gang, die Schultern scheinen nah an den Hals gezogen und dort dauerhaft fixiert, seinen unnatürlich angewinkelten linken Arm hält der Mann, Peter Köberle, mit seiner Rechten nah am Körper.

Ein klarer Fall?

Köberle geht in kurzen steifen Schritten über den Golfrasen auf Grün 7 zu, genau zu der Stelle, wo er fast auf den Tag genau vor sieben Jahren, am 30. Juli 1996, beinahe sein Leben gelassen hätte, niedergestreckt durch einen Schuss. Glaubt man der Geschichte, die Köberle sieben Jahre später dazu erzählt, so scheint bis heute nicht mehr festzustehen als die Tatzeit, der Tatort und der lebensgefährlich verletzende Schuss. Köberle will seine Geschichte nun öffentlich machen, deshalb folgt ihm auch ein gutes Dutzend Journalisten bei dieser Ortsbegehung sieben Jahre danach.

In den Akten von Kripo und Staatsanwaltschaft hingegen ist der Fall klar. Schon am Tag nach der Tat wurde ein Täter verhaftet: Köberles damaliger Geschäftspartner Karl-Josef H. Der aus Bonn stammende Mann war damals Pächter des Schlossrestaurants. Der badenwürttembergische Bauunternehmer Köberle wollte aus den Meierei-Gebäuden des Schlosses ein 100-Zimmer-Hotel machen, hatt den Golfplatz bauen lassen, war dessen Geschäftsführer. Die beiden hatten Streit, H. machte Köberle für seine Geldschwierigkeiten verantwortlich; wollte ihn deshalb erschießen, aus nächster Nähe. H. gestand bei seiner Verhaftung in Bonn sofort, Das Landgericht Bautzen verurteilte ihn ein gutes Jahr später zu siebeneinhalb Jahren Haft; seit längerem schon ist er wieder auf freiem Fuß.

Erst der Schmerz, dann der Knall

Köberle hingegen lag mit seiner schweren Verletzung mehr als drei Monate im künstlichen Koma, danach, in der Reha-Klinik, sei er zweimal kurz befragt worden. Das Gericht hatte auf seine Zeugenaussage verzichtet. „Ich hätte dem Gericht das Tatmotiv kaputt gemacht", behauptet Köberle heute. Er sagt, es habe keinen Streit mit H. gegeben. Im Gegenteil, er habe ihm helfen wollen, die ausstehenden Krankenkassenbeiträge für Mitarbeiter zu bezahlen und so den drohenden Konkurs der Schlossgaststätte abzuwenden. „Bringt man den um, der zahlen will?" fragt Köberle.

„Ich habe immer daran gezweifelt, dass er es war", sagt Köberle nun sieben Jahre später. H. habe die Tat nur auf sich genommen, ihn, das Opfer, den wahren Tätern bloß vor die Flinte getrieben. Köberle beruft sich auf seine Erinnerung. Noch eine Stunde nach dem Schuss sei er bei Bewusstsein gewesen. Er wisse genau, dass er zuerst den Schmerz gespürt und dann erst den Knall gehört habe. Typisch für einen Schuss aus größerer Entfernung, sagt er und spricht von seiner Schießerfahrung als Reserveoffizier. Doch H. habe nur wenige Meter von ihm entfernt gestanden.

Aber es ist nicht nur die Erinnerung eines Schwerstverletzten, auf die sich Köberle beruft. Er ließ von dem Brandenburger Kriminalistik-Professor Christian Koristka ein Gutachten erstellen, ob aus der Waffe, die H. der Polizei als Tatwaffe ausgehändigt hatte, tatsächlich auf Köberle geschossen worden sein konnte. Denn sowohl der Gerichtsmediziner wie auch ein polizeilicher Vermerk gehen aufgrund der Größe der Einschuss- und Ausschussöffnungen an Köberles T-Shirt wie auch an seinem Körper zunächst von einer kleinkalibrigen Waffe aus. H. hatte jedoch einen Colt Cobra 38 als Tatwaffe vorgelegt - der mit 9 Millimetern das größte europäische Kaliber hat. Auch einen Schuss aus nächster Nähe hält der Gutachter mangels Schmauchspuren für unwahrscheinlich.

Vernichtete Asservate

Weder Patrone noch Hülse wurden je gefunden. Auch die Tatwaffe gibt es offenbar nicht mehr. Ebenso wenig wie das durchlöcherte blutige T-Shirt oder die polizeiliche Videoaufnahme von einer Tatortbegehung oder den Tonbandmitschnitt einer Vernehmung. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Bautzen sollen diese Asservate vernichtet worden sein. Köberle legt den Journalisten die Kopie eines entsprechenden Schreibens der Staatsanwaltschaft vor. Er will überdies nach Einsicht in die Akte des Falles wissen, dass sich die Staatsanwältin noch nach Jahren erkundigt habe, ob die Asservate auch tatsächlich vernichtet worden seien. Köberle legt noch eine weitere Kopie vor - ebenfalls aus der Fall-Akte, wie er sagt. Es ist ein Schreiben des Bautzener Oberstäatsanwaltes Bogner, undatiert. Darin teilt Bogner Köberle mit, dass das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt, das Köberle auf seiner Suche nach einem anderen Täter angestrengt hat, eingestellt worden sei. Köberle: „Ich habe nie eine solches Schreiben erhalten." Er hält es für eine Blanko-Einstellungsverfügung des Oberstaatsanwaltes.

Wer hatte ein Mord-Motiv?

Doch wenn nicht H. geschossen hatte, wer dann? Wer konnte H. dazu bringen, einen Mordversuch auf sich zu nehmen, wer hatte ein Motiv? Seine Hotelpläne, die in weiten Teilen den Abriss von historischen Nebengebäuden vorgesehen hatten, hält Köberle für den Kern der vorausgegangenen „jahrelangen Verleumdungen" gegen ihn. Die staatliche Schlösserverwaltung, das Finanzministerium, auch die Denkmalschutzbehörde hätten alles versucht, das Hotel zu verhindern, so Köberle. Vage spricht er auch von alten Seilschaften, mehr nicht. Ein Hotel verhindern und einen Mord planen, ist jedoch zweierlei. Die Suche nach dem Motiv bleibt unbefriedigend.

Doch da taucht plötzlich Karl Nolle bei Köberles Pressetermin in der Schlossgaststätte von Rammenau auf. „Nolle, SPD-Landtagsabgeordneter, ich kämpfe gegen den schwarzen Filz in Sachsen", diktiert er einem Reporter in den Block. Noch ist Nolle auch ratlos, sagt nur, dass Polizei und Justiz ohne die nötige Akkuratesse gearbeitet hätten. Doch er hält es nicht für undenkbar, dass Schloss Rammenau ein paar Leichen im Keller hat, sehr alte Leichen aus Vorwende-Zeiten womöglich - die nicht von Baggern entdeckt werden sollten...
(von Dagmar Ruscheinsky)

Karl Nolle im Webseitentest
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