Sächsische Zeitung, 13.09.2003
Ritterschlag in den Nacken von „Genosse Hemmungslos"
SPD-Mann Karl Nolle im Visier der CDU: In Sachsen streitet das Parlament erstmals über einen Abgeordneten - Angriff auf die Demokratie oder nur eine peinliche Posse?
DRESDEN. Vier Jahre lang hat er darauf warten müssen. Vier Winter, vier Sommer. Immer wieder warten.
Doch am Freitag dieser Woche tut man ihm den lang ersehnten Gefallen. „Die Politik ist auf den Hund gekommen, seit Nolle und seinesgleichen hier im Landtag den Holzhammer schwingen", quillt die Schelte endlich kraftvoll aus der Lautsprecheranlage des sächsischen Parlamentsgebäudes, das sonst beschaulich am Dresdner Elbufer sein Dasein fristet. Dem angesprochenen
Karl Nolle, der sich hier 1999 erstmals per SPD-Mandat das Recht auf ein Büro und einen Eintrag auf Seite 47 des Abgeordnetenhandbuchs erkämpft hat, bleibt aber nur wenig Zeit, um die Worte des CDU-Redners zu genießen.
Im Sekundentakt kommen weitere verbale Giftpfeile auf ihn zu, die Nolle natürlich erhaschen will. Ein Ärgernis für das Land sei er, eine Gefahr für die Demokratie, eine Belastung für alle anständigen Bürger und sogar für die eigene Partei. Ein Politiker, der nicht mehr wisse, was er tue. Ein Lügengeschichten verbreitender Narr, der sich in seiner krankhaften Suche nach vermeintlichen Fehlern der Regierung ständig wacklige Lügengebäude zusammenzimmere. „über diese miese Masche wollen Sie doch nur zur Macht", klingt es am Ende schon etwas heiser aus den Lautsprechern.
Karl Nolle nickt kurz. Ganz zufrieden ist er nicht. Soll es das gewesen sein? Nein. Seinen „Agit-Prop-Kanonaden" wird immerhin noch eine „Rechtsstaat-zersetzende Tendenz" bescheinigt. Dann ist die CDU fertig und in der dritten Reihe der SPD-Bänke schaut der „Genosse Hemmungslos" glücklich drein.
Es ist sein Ritterschlag. Erstmals hat sich Sachsens Nachwende-Parlament nämlich nicht mit Arbeitslosenzahlen, Finanzkrisen und Gesetzen wie „Über den Vollzug des Berufsrechts der akademischen Heilberufe" befasst. Es hat wegen Karl Nolle gestritten - einem von 120 Abgeordneten. Was soll es, wenn später noch der Vergleich von Don Quichotte und dessen Kampf gegen Windmühlen die Runde macht. Passiert ist passiert: Ritter Nolle.
Von Biedenkopfs Enkeln und willigen Weibern
„Sachsens Ein-Mann-Opposition", wie ein beeindruckter Journalist einst den schwergewichtigen Druckereibesitzer beschrieb, hat es wieder einmal geschafft. Es ist fast wie damals vor zwei Jahren, als der 58-jährige Sozialdemokrat, der aus dem Westen kam, plötzlich aus seinem Wissen um pikante Details zum einstigen "Sachsen-König" und mittlerweile abgetretenen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf politisches Kapital schlug. Ob Enkelkinder, die in Staatskarossen chauffiert werden, oder Polizisten, die Biedenkopfs Blumenbeete am Chiemsee bewachen. Nolle wusste es. Die hohe Zeit war erreicht, als in Dresden der ernst gemeinte Witz kursierte, wonach der angeschlagene Biedenkopf abends immer unterm Bett nachschaue. Misstrauisch, ob dort bereits der dicke Sozi mit seinem Notizblock liege.
Von diesem Ruf lebt es sich gut. Wer kleine, große oder auch nur vermeintliche Skandale an die sächsische Weltöffentlichkeit bringen will, tut gut daran, Nolles Fax-Nummer zu kennen. Per Pressemitteilung greift der Politiker viele der oft anonymen Vorwürfe auf und titelt medienwirksam: "Liegestühle auf der Titanic" oder „Begrüßungsgeld für Steuerflüchtlinge". Ob zu Recht oder zu Unrecht stellt sich meist später heraus. Im Notfall ist das Fragezeichen Nolles Waffe und Rettungsring zugleich. Ab und an, das räumen selbst ärgste Widersacher ein, hat er mit dieser Methode sogar Erfolg.
Mit der Zeit werden aber auch die besten Geschichten dünner und die Kritiker lauter. So nutzt Nolle bereits rüde Männerurteile für ein Stückchen Politik. Als ein hormongeplagter Staatsbankier sich jetzt über die für Geld „willigen Weiber in der Ukraine" auslässt, will Nolle per Anfrage an die Staatsregierung sofort wissen, warum.
Dort ist das Nervenkostüm längst dünn. Eine weitere Frage, auf einer Bürgerversammlung im Erzgebirge gestellt, bringt das Fass zum Überlaufen. Ob es sein könne, dass die Stadt Stollberg Grundstücke für eine VW-Ansiedlung verkauft habe, die ihr gar nicht gehören, hatte Karl Nolle vor Ort scheinheilig neueste Fax-Erkenntnisse in die Runde geworfen. Die CDU-Fraktion gibt sich prompt empört. Durch Nolles Frage stehen vielleicht 700 Arbeitsplätze auf der Kippe. Also zieht man den Vorhang vom fertigen Feindbild und ruft die Demokratie, den Landtag und das Bürgergewissen zur Hilfe. Vielleicht nutzt es ja im Kampf gegen den Raubritter.
Doch CDU-Fraktionschef Fritz Hähle räumt dann am Rednerpult ein, dass man diesem Nolle damit wahrscheinlich zu viel der Ehre antut. „Aber wir sind ja auch nur Menschen wie Rudi Völler." Irgendwann platzt immer der Kragen. Problematisch sei allein, dass man im Landtag „seinen Gefühlsausbruch erst per Geschäftsordnung beantragen muss". So findet sich schließlich alles wie immer zusammen: Die CDU schimpft über Nolle, die SPD schimpft zurück, und die PDS macht dabei kräftig mit. Schließlich schimpft die CDU auf Nolle, die SPD und die PDS.
Nur dem PDS-Mann Klaus Bartl schwant, was passiert, wenn man die Sache einmal ernsthaft betreibt. "Wenn wir wirklich klären wollen, welche Äußerung von welchem Abgeordneten irgendwann Einfluss auf Investitionen und damit auf Arbeitsplätze hatte, müssten wir sieben Tage die Woche je zwölf Stunden reden." Soll heißen, Unsinn geschwatzt haben hier schon viele.
Giftige Sprüche und lautstarke Versprechen
Nur einer sagt nichts. Zumindest nicht am Mikrofon. Nein, er verstecke sich nicht und habe auch keinen Maulkorb von seiner Fraktion bekommen, verrät Karl Nolte später lautstark in den Gängen. Und wenn dabei noch ein CDU-Abgeordneter auftaucht, ist er sich sogar völlig sicher: "Meine Arbeit geht denen derart aufs Schwein, dass die die Contenance verlieren." Aber niemand außer seinem Gewissen könne ihn stoppen, verspricht er.
Das Stichwort für Heinz Eggert. Der Christdemokrat zitiert nun eilig und fast noch in Hörweite des SPD-Kollegen den Spruch eines polnischen Literaten. „Sein Gewissen ist rein. Er hatte es nie benutzt." Wenn das Karl Nolle liest.
(Gunnar Saft)