Frankfurter Rundschau, 05.11.2003
Und wieder ein Korb
Leipzigs Oberbürgermeister Tiefensee will nicht Spitzenkandidat der Sachsen-SPD werden und stürzt die Genossen in große Not
Was lange währt, wird auch nicht gut. Seit Monaten hatte Leipzigs Oberbürgermeister die sächsische SPD zappeln lassen. Nun ist klar: Wolfgang Tiefensee tritt bei der Landtagswahl nicht als ihr Spitzenkandidat an.
Dresden · 4. November · Monate lang hatten Constanze Krehl, die SPD-Landesvorsitzende, und Thomas Jurk, der Fraktionschef im Dresdner Landtag, Tiefensees Andeutungen und Verhalten gedeutet und daraus Hoffnung gesogen. Doch am Montagabend kam die Enttäuschung: Tiefensee wird nicht SPD-Kandidat für die Landtagswahl 2004. Er wird CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt nicht herausfordern. Und: Es wird sich nichts ändern, das Leiden der sächsischen Sozialdemokratie geht weiter.
Tiefensee will Oberbürgermeister in Leipzig bleiben und sich ganz und gar um die Olympiabewerbung 2012 kümmern. Der 48-jährige Hoffnungsträger war in den vergangenen Wochen mächtig unter Druck geraten, nachdem Sachsens Olympiakampagne, die im April so furios mit Tiefensees Cellospiel in München begann, zunehmend Schaden nahm. Skandälchen um ehemalige Stasi-Mitarbeiter, um Bereicherung, Intrigen und die Suspendierung des Olympiastaatssekretärs Wolfram Köhler drückten die Hoffnungen in Dresden und Leipzig gegen Null. Schließlich wurde Tiefensee aufgefordert, für Klarheit in eigener Sache zu sorgen. Er solle sagen, ob er im Olympia GmbH-Aufsichtsrat bleiben oder SPD-Spitzenkandidat werden wolle, forderte CDU-Generalsekretär Hermann Winkler. Und hatte Erfolg damit.
In der SPD, seit 1990 in der Opposition und bei jeder Landtagswahl gerupft, löste Tiefensees Entscheidung Entsetzen aus. Nur ihm, so hatte die Partei gehofft, wäre es möglich, nächstes Jahr im September die seit 1990 in Sachsen herrschende absolute CDU-Mehrheit zu brechen. Ohne den überaus populären Leipziger dürfte die nicht einmal 5000 Mitglieder zählende SPD kaum über ihr 1999er Ergebnis von 10,6 Prozent hinauskommen und weiter die Nummer drei im Landtag hinter der PDS bleiben.
Es ist nicht der erste Korb, den Tiefensee verteilt. Auch den Kanzler, der ihn nach der Bundestagswahl zum Superminister für Verkehr, Bau und Aufbau Ost machen wollte, ließ der schlaksige Leipziger abblitzen.
In der Landes-SPD ist die Enttäuschung gewaltig. "Der hat es nie gewollt", heißt es über Tiefensee. Leipzigs OB habe Ausstrahlung über Sachsen hinaus und sei ein hervorragender Politikdarsteller - aber leider auch ein dünnhäutiger Schönwetterpolitiker, der "nie um etwas kämpfen musste". Zugleich tun nun alle so, als müsse man sich nur ordentlich zusammenreißen und dann würde es wieder gut. "Jetzt können wir zwischen zwei kleineren Übeln wählen", sagt ein Vorstandsmitglied. Gemeint sind die Landesvorsitzende Krehl und Fraktionschef Jurk. Beiden wird nicht zugetraut, die Mehrheit von Ministerpräsident Milbradt zu gefährden. Wer von ihnen antreten wird, ist unklar. Gewiss ist nur, es wird ein Kandidat zweiter Wahl sein. Milbradt dagegen dürfte ein Stein vom Herzen gefallen sein. Ihm bleibt ein Konkurrent erspart, der alles hat, was ihm fehlt.
(von Bernhard Honnigfort)