Freie Presse , Hohenstein-Ernstthal, 06.12.2003
Hohenstein-Ernstthal: Schulsystem offenbar reformbedürftig
Diskussion: „Sind Schüler zu dumm für die Lehre“
„Diejenigen, die ich in diesem Jahr genommen habe, hätte ich vor acht Jahren nicht eingestellt.“
Karl Nolle ist Unternehmer, und er ist wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Er war am Freitag Abend mit Johannes Gerlach (SPD), Michael Machat (Abteilung Berufsberatung am Zwickauer Arbeitsamt) und dem Chemnitzer IHK-Referatsleiter Wolfgang Sachse Wortführer in einer Diskussion mit Jugendlichen im Jugendhaus „Off is“.Seine Auffassung deckt sich mit jener, die schon Unternehmer zu Wochenbeginn am Wirtschaftsstammtisch geäußert hatten: Bewerber erfüllen vermehrt nicht die Anforderungen, die Unternehmen an sie stellen. Es fehle am Praxisbezug, an Abstraktionsvermögen, den Lehrern der Einblick in die Anforderungen der Wirtschaft.
Das ist längst keine Theorie, denn das Zahlenwerk des Arbeitsamtes nennt 25 Prozent von allen potenziellen Auszubildenen, denen die „Reife“ fehlt. Doch die Sprecher in der Runde geben nicht der „Null-Bock-Generation“, der es zunehmend schwerer fällt, sich auszudrücken die Schuld. Das Schulsystem selbst müsse mehr praxisbezogen angelegt werden. Nur so könne es gelingen, den Nachwuchs für die Firmen – in drei Jahren verlassen durch den Geburtenknick nur noch die Hälfte der heute 16-Jährigen die Schule – zu qualifizieren.
„Es ist nötig, dass wir eine bessere Schule bekommen“, sagt Nolle und bekommt von der Zuhörerschaft Rückenwind. Andreas Müller etwa hat das hiesige Gymnasium besucht und sieht „in zu großen Klassenstärken, zu wenig Möglichkeit, den Unterrichtsstoff für alle zu begreifen“. Ihm fehle die Praxis. Sechswöchige Praktika etwa taugen nicht, um sich ein Bild von einem Industriebetrieb zu machen. 26 Prozent höher als im Vorjahr ist im Freistaat die Zahl der offenen Lehrstellen, fast jeder zweite Schulabgänger bewerbe sich zum zweiten oder dritten Mal. Dies sei nicht nur ein Konjunkturproblem, sondern eben auch eines der Schule.
(Ulrich Hübler)