Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 31.03.2004

Wie bei Bohlens unterm Sofa

Sachsens Polizeiführer liefern sich seit Wochen eine öffentliche Schlammschlacht auf unterstem Niveau
 
Wer Horst Rasch nicht kennt und ihm das erste Mal begegnet, hält ihn für einen netten Lateinlehrer oder für einen Kieferorthopäden, dem man sich bedenkenlos ausliefern kann. Horst Rasch ist ein freundlicher Mann, 51 Jahre alt, von kleiner Statur mit einem gepflegten, grauen Bart. Er ist sehr höflich und vom Wesen her ein Moderator, kein Entscheider. Wer also Horst Rasch das erste Mal begegnet, käme nie auf die Idee, dass er der sächsische Innenminister ist, Chef eines 540-köpfigen Ministeriums und von 14 000 Polizisten. Aber das ist er seit dem 2. Mai 2002. Kurioserweise gibt es keinen Minister in Sachsen, der so wenig wie ein "Minister Wichtig" wirkt, so nett und bescheiden daherkommt, und gleichzeitig so heftig verdroschen wird von der Opposition und der Landespresse. Auch in der CDU, seiner eigenen Partei, nimmt die Zahl derer zu, die ihn nach der Landtagswahl im September nicht mehr im Amt wollen.

Horst Rasch ist kein Mann für harte Sachen, er ist einfach zu nett - und das ist sein schlimmster Fehler. Im Moment fordern PDS und SPD wieder einmal so vehement wie aussichtslos seinen Rücktritt, was mit einer Schlammschlacht innerhalb der sächsischen Polizei zu tun hat, die seit einigen Wochen von - man darf vermuten - hochrangigen Polizeiführern mit dem Instrument anonymer Beschuldigungen in den sächsischen Zeitungen ausgetragen wird.

Wie es bei Katastrophen meist der Fall ist, fing alles eher harmlos an, als das Innenministerium sparen, die drei sächsischen Polizeipräsidien sowie sechs der 13 Polizeidirektionen abschaffen und die Landespolizeischule in Bautzen umorganisieren wollte. Landespolizeipräsident Eberhard Pilz, 59 Jahre alt und kurz vor der Pension, sollte die unbeliebten Dinge in die Hand nehmen.

Es dauerte nicht lange, da begann der SPD-Abgeordnete Karl Nolle, bestens versorgt mit behördlichen Interna, Anfragen im Landtag zu stellen zum Polizei-Verein "Förderkreis Demokratie und innere Sicherheit", dem Kritiker der Polizeireform angehören, die unrechtmäßigerweise für Vereinsangelegenheiten Telefone und Faxgeräte der Polizei benutzt haben sollen. Das Innenministerium schickte daraufhin Ermittler, die machten eine Razzia in der Polizeischule, woraufhin deren Leiter Gerd Ley und zwei seiner leitenden Mitarbeiter per Anwalt erklären ließen, es sollten wohl Kritiker der Reform mundtot gemacht werden.

Es dauerte wiederum nicht lange und Polizeireformer Pilz fand sich auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen wieder. "Trinkt Polizeichef Pilz manchmal zu viel Pils?" fragte die eine. "War da was auf dem Ausflug, Herr Pilz?" die andere. Es ging um Saufgelage und angebliche sexuelle Belästigungen von Polizistinnen. Also nahm sich auch der Herr Pilz einen Anwalt, der wiederum die Journalisten aufforderte, ihre Informationsquellen preiszugeben, was die erst recht auf die Palme brachte. Es ging hin und her. Pilz wurde beschuldigt, nebenbei und unrechtmäßig im Aufsichtsrat einer Versicherung zu sitzen und seinen Dienstfahrer dazu angehalten haben, bei ihm zu Hause den Garten zu pflegen und das Wohnzimmer zu tapezieren. Dann stand in einer Zeitung, der Herr Pilz sei schon vor seiner Zeit in Sachsen als bayerischer Polizist eine dubiose Person gewesen, angeblich ein Kollegen-Mobber und sogar Spion für die Tschechoslowakei und CSU-Mitglied. Dann ging es wieder in die andere Richtung: "Bumsfidele Polizeischüler-Ausbildung", stand in einer Zeitung, und darunter ein Artikel, wonach einer der Bautzener Polizeiausbilder und Pilz-Kritiker in flagranti dabei erwischt worden sein soll, wie er mit männlichen Schülern Sex gehabt habe.

So geht das seit Wochen. Während in anderen deutschen Bundesländern über innere Sicherheit, Al Qaeda, Terrorangst, Madrid und die Ausweisung verdächtiger Islamisten debattiert wird, geht es in sächsischen Sicherheitskreisen zu wie bei Dieter Bohlen unterm Sofa.

Mittlerweile gibt es drei Anzeigen gegen hochrangige Polizisten, mehrere Rücktrittsforderungen der Landtagsopposition an Pilz und Innenminister Rasch, eine weitere Razzia in der Bautzener Polizeischule und einen Brief des Personalrats des Innenministeriums, in dem über Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen Mitarbeiter geklagt und ein "wirksamer Zeugenschutz" verlangt wird. Der Innenausschuss des Landtags befasste sich mit der Schmuddelgeschichte, doch ließen sich die anonymen Anschuldigungen gegen den Polizeipräsidenten bislang nicht untermauern.

Der freundliche Innenminister machte bei all dem keine glückliche Figur. Er drohte den anonymen Anschwärzern, sie würden nicht mit einem blauen Auge davonkommen. Doch scheint die Schlammschlacht längst so weit fortgeschritten, dass das auch nicht mehr hilft. Sachsens Polizisten sind von ihrem Innenminister enttäuscht und hätten gern einen anderen. "Es muss ein neuer Minister her, der das Haus im Griff hat und führt", fordert Peer Oehler von der Polizei-Gewerkschaft. "Der Ministerpräsident muss handeln, um ein Desaster zu verhindern."

Leichter gesagt als getan. Wie stoppt man eine anonym geführte Schlammschlacht, die von beiden Seiten absolut hemmungslos, rücksichtslos und persönlich verletzend geführt wird? Bei der keiner mehr sein Gesicht wahren kann? Georg Milbradt, der im September seine erste Landtagswahl gewinnen will und dabei seiner CDU beweisen muss, dass er biedenkopfsche Resultate weit jenseits der 50-Prozent-Marke einfahren kann, weiß es offensichtlich auch nicht. Er muss nur fürchten, dass ihm gerade das typische CDU-Wahlkampfthema Innere Sicherheit flöten geht.

Der freundliche Herr Rasch, heißt es in CDU-Kreisen, habe sich längst mit dem Gedanken angefreundet, nach der Wahl am 19. September einer anderen Beschäftigung nachgehen zu können. Nur bis dahin müsse er noch aushalten.
(von Bernhard Honnigfort)

Karl Nolle im Webseitentest
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