Sächsische Zeitung, 10.06.2004
DGB-Chef Lucassen gibt der SPD einen Korb
Gewerkschaftsboss verzichtet nach internen Querelen auf eine Landtagskandidatur
Selbst bei der Trennung wurde noch einmal kräftig gepatzt. Eigentlich wollte der sächsische DGB-Chef Hanjo Lucassen mit Rücksicht auf die bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen erst am Montag bekanntgeben, dass er der SPD-Landtagsfraktion, deren Mitglied er seit 1999 ist, nach der Wahl im Herbst nicht mehr angehören wird. Der Gewerkschaftsboss, der im Freistaat knapp 400 000 Mitglieder vertritt, verzichtet nämlich auf eine erneute Kandidatur für jene Partei, in der er mittlerweile 40 Jahre Mitglied ist.
Umstrittener Reformkurs sorgt für Zerwürfnis
Aber SPD-Landeschefin Constanze Krehl verpasste es, die unangenehme Nachricht über den kommenden Wahlsonntag zu retten. Sie verplauderte sich vorab, und Lucassen, seiner Parteikollegin ohnehin nur noch in kritisch-kühler Distanz verbunden, ging in die Offensive.
Seine Absage, sich der SPD erneut als Promi-Abgeordneter zur Verfügung zu stellen, kommt letztlich aber nicht überraschend. Zu sehr hatte sich das Verhältnis zwischen dem einflussreichen Gewerkschafter und der SPD-Landesspitze in den vergangenen Monaten verhärtet. Neben den Auseinandersetzungen um den aktuellen Reformkurs der rot-grünen Bundesregierung waren es oft aber auch politische Entscheidungen „des Duos“ – wie Lucassen das sächsische SPD-Führungsgespann um Krehl und Fraktionschef Thomas Jurk zu bezeichnen pflegt –, die für Zoff sorgten.
„Ich kann der SPD nur empfehlen, künftig wieder mehr auf ihr traditionelles Wählerklientel einzugehen“, verweist Lucassen auf die Landtagwahl-Hürde im Herbst und verpackt auf diese Weise nur notdürftig seine Kritik. Intern wettert er noch deutlicher: Themen wie Arbeitsplätze, bessere Berufsausbildung und soziale Gerechtigkeit gehörten endlich wieder in den Vordergrund. Auch im eigenen Landesverband klemmt es damit aus seiner Sicht gewaltig.
Die oft ergebnislosen Auseinandersetzungen mit den eigenen Spitzengenossen sorgten zuletzt sogar bundesweit für Schlagzeilen, als Lucassen offen mit der Gründung einer „Sächsischen Arbeiterpartei“ drohte. Am Ende wurde der Streit mit einem Kompromiss beendet. Jurk und Krehl schrieben das Wahlprogramm um und nahmen einige Lucassen-Forderungen auf. Aber nur halbherzig und unter Druck, wie aus dessen Umgebung zu hören ist. Eine neue Politik sei nicht zu erwarten.
Der Bruch rückte somit wieder ein Stück näher, auch wenn der 59-jährige Gewerkschafter zurzeit noch nicht an einen Parteiaustritt denkt. Dafür kündigte er sibyllinisch an, künftig noch mehr als bisher auch auf die Unterstützung von CDU und PDS zu setzen, um die Interessen seiner Basis durchzusetzen. Und eine Wahlempfehlung für den Herbst will Lucassen seinen Mitgliedern diesmal schon gar nicht geben. Nicht einmal einen noch so kleinen Hinweis in Richtung Sachsen-SPD.
(von Gunnar Saft)