Freie Presse Chemnitz, 30.06.2004
Nüchterne Ratschläge von den Altvorderen
Nach Krehl-Rücktritt leckt Sachsens SPD die Wunden - Kunckel und Thalheim empfehlen Beharrlichkeit
Dresden. Einen Tag nach dem Rücktritt von Constanze Krehl als Landesvorsitzende ordnete die sächsische SPD gestern die Nachfolge: Fraktionschef Thomas Jurk erhielt das Votum des Vorstandes, bis zum nächsten Landesparteitag kommissarisch den Vorsitz zu übernehmen.
Als „Signal der Partei, sich nun auf Wahlkampf einzustellen", versteht Gerald Thalheim den Auftrag an Jurk. Der Staatssekretär im Berliner Verbraucherministerium ist Beisitzer im Landesvorstand und war bisher ein Krehl-Anhänger. Das Mandat an Jurk nennt er "folgerichtig". Im Rückblick auf die kurze Ara Krehl fällt dem Mittweidaer vor allem ein Kompliment an Sachsens CDU ein "Wir haben es zugelassen, dass die CDU die Wohltaten der Politik für sich verbucht und die Einschnitte der SPD angelastet hat."
Versäumnisse, etwa im SPD-Bundesvorstand nicht ausreichend für die Interessen des Ostens gekämpft zu haben, will Thalheim der Ex-Vorsitzenden Krehl nicht anlasten. "Wo kein Geld zu verteilen ist, kann man noch so laut auf den Tisch hauen", hält er der Kritik an Krehl entgegen. Die SPD könne man abwählen, nicht aber die Probleme des Landes. Diese Probleme seien in früheren Jahren mit Geld zugedeckt worden Heute fehle dieses Geld.
Thalheim feierte gestern seinen 54. Geburtstag. Fast hört man aus seinen Worten Ex-Partei- und Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel sprechen, der heute 6o wird. „Pumpen ist unsozial", pflichtet Kunckel dem Bundespolitiker Thalheim bei.
Kunckel saß 14 Nachwende-Jahre im sächsischen Landtag, neun Jahre davon stand er an der Spitze der SPD-Fraktion und sechs Jahre führte er die Landespartei. Nun hat er sein Abgeordnetenbüro weitgehend ausgeräumt. Für den neuen Landtag kandidiert er nicht mehr. Die bittere Wahlniederlage von 1999 hatte das Ende seiner politischen Laufbahn eingeleitet. Ebenso wie heute, konnte sich auch vor fünf Jahren die Sachsen-SPD nicht dem negativen Bundestrend entziehen. „Ich wusste sechs Wochen vor der Wahl, dass wir haushoch verlieren worden", blickt Kunckel zurück. So war er ausreichend vorbereitet, um damals am Wahlabend den Vorsitz seiner Stellvertreterin Constanze Krehl anzutragen: "Das war ein geordneter Übergang."
Kritische Fragen zur Bilanz seiner Nachfolgerin? Krehl war Kunckels Wahl, glücklich war er mit dieser Entscheidung dennoch nicht immer. „Auch Jurk hat Blessuren davongetragen", lautet das distanzierte Urteil über den künftigen Parteichef, "er ist ein Teil dieser Auseinandersetzung."
Selten, für viele zu selten, hat Kunckel nach der unfreiwilligen Abgabe des Fraktionsvorsitzes an Jurk in den vergangenen Jahren seine Stimme im Landtag erhoben. Mit dem damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) hatte sich der Oppositionsführer Kunckel auf langen Spaziergängen ausgetauscht. Mit ihm traf er sich intellektuell auf einer Ebene. Einige Genossen hielten ihm dafür einen "Schmusekurs" vor.
"Es ist keine Katastrophe, dass Biedenkopf hier zehn Jahre regiert hat", bekräftigt Kunckel auch heute seine positive Einstellung zum einstigen CDU-Spitzenmann. Seiner eigenen Partei rät er fast im gleichen Atemzug, wieder sie selbst zu werden", ihren Weg eines demokratischen Sozialismus zu definieren und diesen Kurs unbeirrt durchzuhalten. Nähe zur PDS schließt das aus. Auch hier deckt sich Kunckels Meinung mit der Thalheims. „Wenn wir nur noch zehn Prozent der Wählerstimmen haben, sollten wir nicht ständig Fragen nach Koalitionen beantworten, die uns niemand stellt."
Die SPD müsse sich wieder auf ihren Gegner konzentrieren, rät Kunckel seiner Partei. Für das Land wünscht er sich einen Geist, der Kultur „als einen Wert an sich" versteht, ebenso wie Bildung und Familienförderung. Fatal sei die Theorie von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), nach der nur das sozial sei, was Arbeit schaffe. So versöhnt sich der Schöngeist Kunckel auch wieder mit seiner notleidenden Sozialdemokratischen Partei.
(von Hubert Kemper)