Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 25.08.2004

Gegenwind bei Schröders Viertelstunden-Rede

 
Leipzig. So schön hatten sich die Strategen diesen offiziellen Wahlkampfauftakt vorgestellt: Kanzler Gerhard Schröder in der SPD-Hochburg Leipzig, Auftritt in der Bio-City am Deutschen Platz, wo Forscher und Firmengründer zusammenarbeiten. Motto: "Wir, die moderne SPD". Doch es kam anders.
Mit wütenden Protesten und Eierwürfen war Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern Vormittag von etwa 200 Demonstranten in Wittenberge (Brandenburg) empfangen worden. Die Gegner der Arbeitsmarktreform Hartz IV riefen Parolen wie: "Wir wollen Arbeit" und "Wir sind das Volk". Die Eier verfehlten den Kanzler und trafen ihn begleitende Journalisten. Ein wenig bekam auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ab. Der Kanzler bezeichnete in seiner Rede demokratische Proteste als legitim und akzeptabel. Zur Hartz-IV-Reform gebe es aber keine Alternative.

Die Wut einiger Hartz-IV-Betroffener entlädt sich auch gestern Abend im Biozentrum Leipzig. Der Vogtländer Marko Schlesinger verteilt "Faule Eier für faule Politiker", die allerdings nicht zum Einsatz kommen. Auch Gerd Dreiling aus Leipzig ist gekommen, hält ein Transparent hoch gegen Hoffnungslosigkeit und Betteljobs. "Ich will, dass Hartz IV vom Tisch kommt, damit meine Kinder eine Zukunft haben", sagt der 49-jährige arbeitslose Vater von zwei Töchtern.

Als der Kanzler gegen 18.30 Uhr vor den mehreren hundert Gästen vors Mikro tritt, versuchen Demonstranten im Chor den Kanzler zu überstimmen. Die Genossen halten mit lautem Beifall dagegen, die Regie dreht den Lautsprecher auf. Sozialdemokraten hätten sich in der Geschichte noch nie mundtot machen lassen, sagt Schröder wütend an die Adresse der Schreihälse von ganz rechts und ganz links.

Dabei hatte die SPD den Abend gut vorbereitet. Die Genossen wurden per e-mail aufgefordert, eine Stunde vorher zu erscheinen, um die vorderen Sitzreihen zu besetzen - gegen erwartete Störer. Montagsdemonstranten fühlten sich von dem Appell zwar an die Friedensgebete 1989 in der Nikolaikirche erinnert. Doch Unterbezirkschef Gunther Weißgerber fand "nichts Anrüchiges" dabei. Im Wahlkampf sei die Kampagnenfähigkeit der Truppe wichtig. Zudem könne man nicht sicher sein, "dass alles friedlich verläuft". In der Tat hatten Sicherheitsbehörden seit Tagen vor Störern gewarnt. Doch Chemnitzer Jusos waren schneller und besetzten nichts ahnend die begehrten Plätze.

Als Schröder redet, dröhnen "Lügner"-Schreie, Pfiffe und Buh-Rufe durch das Foyer der Bio-City. Doch der Mann läuft im Angriff meist zur Hochform auf, verteidigt in seinem viertelstündigen Auftritt die Arbeitsmarktreformen. Eine Umkehr werde es nicht geben, "auch wenn uns der Wind entgegen bläst". Er wolle dafür kämpfen, sagt der Kanzler, dass die Menschen Arbeit haben. Nichts sei aber über Nacht zu bewerkstelligen.

Die ungetrübte Freude wollten seine sächsischen Parteifreunde nicht ganz teilen. Er wünsche ihm die Kraft, diese oder jene Korrektur noch vorzunehmen, gibt Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, einst selbst Mitglied der Hartz-Kommission, dem Kanzler mit auf den Weg. Auch Spitzenkandidat Thomas Jurk hofft, dass Fragen "noch auf dem Verordnungsweg" geklärt werden. Er will für die SPD bei der Wahl am 19. September mehr als die alten 10,7 Prozent der Stimmen holen. Als er allerdings die Wiedereinführung der Vermögenssteuer fordert, blickt der Kanzler etwas grimmig. Dann fällt die Klappe, noch einmal brandet Beifall auf, Schröder verlässt das Gebäude flugs durch einen Seiteneingang.
(Sven Heitkamp)




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