Sächsische Zeitung, 25.08.2004
Trickserei im Silicon Saxony
Der Dresdner Chiphersteller ZMD sollte erhalten werden als Fundament für sächsische Leuchttürme – selbst am Rande der Legalität
Am Dienstag war für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) die Welt noch in Ordnung: Nachmittags gönnte er sich mit seinen Mitarbeitern einen Betriebsausflug nach Pirna, davor gab’s Schaulaufen vor der Presse. Seine Botschaft: „Sachsen ist Spitze im Fördermitteleinsatz“ – erfolgreich und seriös.
Doch in punkto Seriosität müssen nun Zweifel angemeldet werden – zumindest für die Vergangenheit. Mehrere der SZ vorliegende Dokumente legen einen schwerwiegenden Verdacht nahe: Der Freistaat soll zum Erhalt des Dresdner Chipherstellers ZMD als Fundament für Infineon und andere Hightech-Leuchttürme meldepflichtige Subventionen in Millionen-Höhe geleistet und der Europäischen Kommission verheimlicht haben. Als Technologieförderung ausgewiesen, dienten 42 Millionen Mark offenbar nur zur Deckung von Verlusten bei ZMD. Brüssel hätte die Beihilfe genehmigen müssen, bekam von den Millionen aber keine Kenntnis.
Rückblick: Das Dresdner Zentrum für Mikroelektronik (ZMD) war Sitz des Kombinats Mikroelektronik mit 3 000 Beschäftigten, hier schlug seit 1961 das Herz der DDR-Chipindustrie. Im Westen belächelt, entstand hier 1988 der erste ostdeutsche Ein-Megabit-Chip. Nach der Wende als Kombinat zerschlagen und von der Treuhand totgesagt, besann sich die Politik auf Strukturen und bestqualifizierte Fachkräfte. Die sollten erhalten werden, um den Traum vom „Silicon Saxony“ mit mehr als 500 Unternehmen und 20 000 Beschäftigten in der Halbleiterbranche träumen zu können.
Die Treuhand verkaufte den Standort Dresden 1993 als ausgegründetes Unternehmen an zwei Beteiligungsgesellschaften von Dresdner und Commerzbank, die die Geschäftsanteile treuhänderisch für den Freistaat verwalteten. Preis: 40 Millionen Mark. Im Gegenzug gab es als Starthilfe 125 Millionen Mark. Die EU-Kommission vermutete keine echte Privatisierung: Ihr Verdacht: Vermögen aus Bundesbesitz sei in Landesbesitz gewechselt und die Banken nur Treuhänder.
Auch im Ministerium fiel auf, dass der Treuhandvertrag angreifbar war. „Auf diese ,Klöpse´ müssen wir ,wasserdicht´ antworten und die angemeldeten Fragen gleich richtig darstellen, so dass keine weiteren Fragen von der KOM (EU-Kommission, d. R.) kommen“, heißt es in der handschriftlichen Notiz eines Verantwortlichen zum Vertragswerk vom 27. Mai 1993.
Lösungen mussten her – auch für die geplante Ansiedlung von Siemens. Der Konzern wollte an der Elbe eine 64-Megabit-Fabrik bauen und 1 200 Jobs schaffen. Investitionsvolumen: 2,7 Milliarden Mark, 1,1 Milliarden sollte die öffentliche Hand beisteuern. Solche Landeszuschüsse müssen bei der EU gemeldet werden. Laut Abteilung 3 im Wirtschaftsministerium vom 1. Februar 1994 reagierte Siemens darauf „nervös“. Es sei „außerordentlich schwierig“, eine Finanzlücke von „450 Mio. DM neutral zu ,verpacken’“. Letztlich wurde ein Weg gefunden, laut heutigem Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) über den Landtag. Die Abgeordneten hätten mehrheitlich die Zinszuschüsse bewilligt. Der Posten stehe im Haushalt, alles korrekt. Siemens sollte über fünf Jahre Zinszuschüsse von je 90 Millionen Mark bekommen. Und auch Brüssel genehmigte die Zuschüsse schließlich.
Der Konzern gab an ZMD Aufträge und sorgte so für einen Großteil des Umsatzes. Dennoch blieben die Dresdner in den roten Zahlen, auch weil die Preise auf dem Halbleitermarkt einbrachen. Dabei gab es weitere Hilfen: rund 42 Millionen Mark, deklariert als Technologieförderung. Doch mit diesem Zweck hatten die Millionen wenig gemein. Das wird auch in einem vertraulichen Schreiben vom 16. Mai 2000 an Ex-Staatsminister Kajo Schommer (CDU) eingeräumt (Faksimile). Empfohlen wurde, den Ministerpräsidenten zu informieren. Der hieß damals Kurt Biedenkopf, sein Finanzminister war Georg Milbradt (beide CDU). „Vorrangiges Ziel“ müsse es sein, ein Hauptprüfverfahren in Brüssel zu vermeiden, denn das brächte alle Altlasten ans Licht.
In einer Technologie-Förderliste der Sächsischen Aufbaubank (SAB) für das Ministerium von Januar 2000 sind vier Posten aufgeführt über insgesamt 42 Millionen Mark – deklariert als „Sanierungskosten“, „Beitrag zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur und Innovationskraft“ und „SMWA-Fehlbedarf“. SMWA steht für das Wirtschaftsministerium. In der Mitteilung an die EU sucht man diese genehmigungspflichtigen Positionen vergeblich.
Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) kennt den Vorgang nach eigenem Bekunden seit kurzem. Die Staatsanwaltschaft sei informiert und „seit Frühjahr letzten Jahres“ auch der Sachsenring-Untersuchungsausschuss im Landtag, sagte Gillo. Er habe die Innenrevision seines Hauses beauftragt, „die Sache voll aufzuarbeiten“.
Kein Wunder, dass ZMD ständig klamm war: Der damalige und mittlerweile verstorbene Chef Kurt Garbrecht beanspruchte laut Anstellungsvertrag vom 20. November 1993 ein Festgehalt von 550 000 Mark, zuzüglich „Dienstwagen der oberen Klasse (BMW 730) mit angemessener Ausstattung“, zuzüglich „Kosten für eine zweite Haushaltsführung“ von 50 000 Mark netto pro Jahr. Als Kurt Garbrecht 1997 ausschied, gab’s noch mal mehr als eine halbe Million als Abfindung – gezahlt vom Freistaat über seine Treuhänder.
Heute hat die ZMD-Gruppe 755 Beschäftigte und macht 80 Millionen Euro Umsatz. Ob die Chip-Schmiede mögliche Rückforderungen der EU stemmen kann, steht in den Sternen. Hinter den Kulissen wird an einer Lösung gearbeitet. Minister Gillo: „Wir sind in engem Kontakt mit der EU bei der Aufarbeitung dieser Frage.“
(Von Michael Rothe)