Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 26.08.2004

Beleidigungen im Vorübergehen

SPD-Chef Müntefering erlebt auf Wahlkampftour in Sachsen eine Stimmung, von der Spitzenkandidat Jurk ein Lied singen kann
 
Dresden gestern Nachmittag: Gar nicht schlecht. Hätte schlimmer kommen können. Keine Spottgesänge, keine Eier, nur eine Pöbelei eines Radfahrers, der stehen blieb, weil er Franz Müntefering erkannte und dann rief: "Wir freuen uns auf ein einstelliges Ergebnis für die SPD in Sachsen."

Insgesamt sei es doch ein freundlicher Empfang in Dresden gewesen, resümiert Müntefering, der in Sachsen wahlkämpft und im Stadtteil Johannstadt im Fährgarten am Elbufer angekommen ist, einem Biergarten, wo er vor 50 Leuten sitzt, die meisten von der SPD, der Rest Ausflügler. Die Landtagskandidatin in Dresden-Johannstadt heißt Eileen Mägel. "Jede Art von Stress vermeiden. Wenn einer pöbelt, bietet ihm ein Bier an", hatte sie ihr Team vor Münteferings Eintreffen angewiesen.

Selbst der Anzug missfällt

Am Vormittag in Zwickau war es schlimmer: "Überwiegend unfreundlich", erzählt Müntefering, "eine ganze Reihe von Leuten, die unqualifiziert herumschreien". Einer habe ihm vorgehalten, es gebe kein Grundgesetz, dem anderen habe Münteferings Anzug nicht gepasst, ein dritter behauptete, in Deutschland herrschten Notstandsgesetze. "Was soll ich dazu sagen?", sagt Müntefering, wobei man ihm abnimmt, dass er es wirklich nicht weiß. Wahlkampf in Sachsen - ein bitteres Geschäft, wenn man nicht gerade für die PDS unterwegs ist.

Thomas Jurk kann ein Lied davon singen. Der Ostsachse ist Spitzenkandidat der SPD und hat am 19. September die Landtagswahl zu bestehen. Was schon an sich nicht einfach ist: Die SPD hat in Sachsen noch nie ein Bein an den Boden bekommen und bei Landtagswahlen gegen "König Kurt" Biedenkopf regelmäßig eingebüßt, bis sie dann 1999 bei 10,7 Prozent aufschlug.

Sachsens Genossen sind also schon wackelig genug auf den Beinen. In Umfragen liegt die SPD bei zehn Prozent, aber das ist auch kein echter Trost, weil sie in Umfragen bislang immer besser abschnitt als bei der anschließenden Landtagswahl. Die Angst geht um, die SPD könnte bundesweit einmalig erstmals bei einer Landtagswahl in den einstelligen Bereich abschmieren.

Jurk geht also einen schweren Gang: Sein Bekanntheitsgrad liegt gerade mal bei 31 Prozent. Gäbe es eine Direktwahl des Ministerpräsidenten, nur vier Prozent der Befragten würden ihn wählen, ein Prozent weniger als die Grünen-Kandidatin.

Und nun auch noch der Zorn der Ossis auf den Kanzler, der Protest gegen Hartz IV, der teilweise Züge von Hysterie angenommen hat. In Wittenberge flogen Eier, in Leipzig wurde Schröder am Dienstagabend ausgepfiffen. "Schröder kriegt Dresche, wohin er kommt", heißt es in der sächsischen SPD. Schröder ist eindeutig die Feindfigur.

Manchmal sei es furchtbar, erzählt ein Dresdner Sozialdemokrat. Zwei weniger aussichtsreiche Kandidaten für den Landtag haben kürzlich aufgegeben. Das Nervenkostüm war zu dünn, sie wollten sich nicht länger anpöbeln lassen auf der Straße.

Wie gegen eine Mauer

Jurk selbst durfte vergangene Woche erleben wie das ist, wenn man gegen eine Mauer läuft und niemand zuhören will. In Löbau war der Sozialdemokrat, wollte mit Kleingärtnern ins Gespräch kommen und ihnen erklären, dass die Bundesregierung trotz gegenteiliger Behauptungen nicht vor hat, ihnen im Zuge der Arbeitsmarktreformen die Gartenhäuschen wegzunehmen. Nur soweit kam es gar nicht. Die PDS hatte mobilisiert, Jurk saß verloren vor "lauter Altkommunisten" und konnte reden, was er wollte. Es war sowieso egal.

Aber es gibt auch kleine Lichtblicke. Vier Wahlkampftermine absolviert Jurk pro Tag, seit Anfang August zieht er tapfer durch Sachsen. Oft heißt das kurze Schimpfereien in Fußgängerzonen, ein paar beleidigende Worte im Vorübergehen. Doch sobald ein Gespräch bei normaler Zimmerlautstärke zustande kommt, wird es anders. Da könne man erklären, erzählt ein Begleiter, dass es eben nicht so sei, dass Familien Arbeitsloser in Zukunft mit 331 Euro auskommen müssten, dass davon nicht auch noch die Miete bezahlt werden müsse, dass es Zuschüsse gebe. Dann gebe es immer ein großes Aha, es werde gerechnet, plötzlich stelle man fest, dass es so schlecht gar nicht sei. Die Kassiererin im Konsum verdiene sogar weniger. Das seien die Momente, wo sich der Wahlkampf dann in Sozialberatung verwandelt und Sachsens Genossen zufrieden sind. Einerseits. Andererseits aber im Geiste fluchen über das Kommunikationsdesaster der Bundesregierung, das sie nun mühevoll reparieren sollen auf den Marktplätzen zwischen Zittau und Leipzig.

Ein wenig trösten können sich Sachsens Sozialdemokraten mit der Hoffnung, CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt könnte für sein Herumeiern beim Hartz-Thema ebenfalls die Quittung bekommen. Auch für ihn sehen die Umfragen nicht gut aus, die goldenen Biedenkopf-Jahre wohl vorüber. Womöglich wird er einen Koalitionspartner brauchen. Da nach Lage der Umfragen niemand ausschließen mag, dass sogar Grüne und NPD in den Landtag kommen, die FDP eher nicht, könnte es sogar reichen zur großen Koalition aus einer geschwächten CDU und einer Gerade-noch-SPD.
(von Bernhard Honnigfort)

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