Karl Nolle, MdL

LVZ/Leipziger Volkszeitung, 21.09.2004

Sachsen und die Bundesländer: Nach dem Wahl-Erdbeben in Sachsen: Verlierer denken an Koalition

Ursachenforschung zum Erfolg der Ultrarechten
 
Dresden. Die Lage für die SPD in Sachsen könnte kaum absurder sein: Da gehen die Sozialdemokraten mit desaströsen 9,8 Prozent aus dem Wahlsonntag hervor, stehen nur 0,6 Punkte vor der rechtsextremen NPD - und könnten doch bald mitregieren. Möglich macht das die Sitzverteilung im neuen Landtag, und der Verlust der absoluten Mehrheit für die CDU. Weil Regierungschef Georg Milbradt (CDU) jegliche Zusammenarbeit mit PDS und NPD ablehnt, ergeben sich rein rechnerisch nur zwei Varianten: eine Dreier-Koalition von CDU, Grünen sowie FDP; oder halt eben das, was Große Koalition heißt - aber in Sachsen kaum mehr eine ist: ein Zusammengehen von CDU und SPD.

Diese zweite Möglichkeit ist die mit Abstand wahrscheinlichste. Auch wenn Milbradt nach der verheerenden Niederlage gestern Gespräche mit FDP und Grünen prinzipiell nicht ausgeschlossen hat, so gilt es doch in Dresden als offenes Geheimnis, dass ihm ein solch schwarz-gelb-grünes Bündnis wenig liegt. Darüber hinaus haben auch die Grünen - allen voran Spitzenkandidatin Antje Hermenau - ein Zusammengehen mit der CDU ausgeschlossen, "kategorisch".

Entsprechend naht jetzt das, was FDP-Chef Holger Zastrow wie sein PDS-Pendant Peter Porsch unisono "Koalition der Verlierer" nennen, die CDU/SPD-Variante. Hinter dieser kritischen Pointe steht die Tatsache, dass die Große Koalition zusammen gerade mal auf 50,9 Prozent der Stimmen käme. Dennoch wollte SPD-Spitzenmann Thomas Jurk eine solche Ehe gestern nicht ausschließen. Noch bevor sich die CDU zur Vorstandssitzung am Abend traf, erklärte Jurk die Regierungsbeteiligung zu einer "großen Chance für die SPD". Und selbst SPD-Aufklärer Karl Nolle, sonst um herbe Worte Richtung CDU nicht verlegen, gab sich kompromissbereit.

Dahinter steht eine einfache Rechnung. Weil die SPD weiß, dass Milbradt sie zum Regieren braucht, wollen sie den Preis erhöhen - Ministerstühle von Gewicht lautet die Losung. Mehr als zwei Ressortchefs dürften die SPD dennoch kaum erhalten. Offiziell freilich ist die Lesart eine andere. Nach Aussage von SPD-Fraktionssprecher Andreas Beese stehen lediglich die Politikfelder fest: Bildung, Kitas, Wirtschaftspolitik - überall will die SPD Duftmarken im neuen Kabinett setzen.

Unter der Hand aber kursiert längst der eine oder andere Name. Ganz vorn im Spekulationsreigen rangiert Gunther Hatzsch aus Leipzig. Der war im SPD-internen Ringen zwischen Ex-Landeschefin Constanze Krehl und Jurk zwar unter die Räder gekommen und galt seitdem als chancenlos. Das aber hat sich mit seinem Direkteinzug ins Landesparlament am Wahlsonntag geändert. Und vor allem ist Hatzsch Bildungspolitiker - was läge also näher als ihn als neuen Kultusminister ins Spiel zu bringen?

Doch auch andere Varianten werden gehandelt, nicht zuletzt die dreier Frauen: Gisela Schwarz, Marlies Volkmer und Barbara Ludwig. Die erste ist Landtagsabgeordnete, die zweite sitzt im Bundestag, und die dritte arbeitet als Dezernentin in Chemnitz. Das Wichtigste aber ist: Alle sind im Sozialbereich zu Hause, könnten also CDU-Sozialministerin Helma Orosz beerben - das klassische Ressort für jeden Sozialdemokraten. In Frage kommen könnte auch Gerald Thalheim, SPD-Staatssekretär im Bundesverbraucherministerium.

Besonders pikant freilich ist eine weitere Personalie aus Leipzig: Kein anderer als OBM Wolfgang Tiefensee, so lautet die Idee in SPD-Kreisen, könnte der Partei in der Regierung mit der CDU den nötigen Effet verleihen. "Profilierung in der Koalition" lautet das Stichwort, das eben nur mit einem profilierten Kopf gelingen könne.

Vor all dem aber steht das Votum der CDU. Die hält sich zwar derzeit bedeckt, aber klar ist, dass sie am Ende einige Kröten von der SPD schlucken muss - vor allem im Bereich Bildung, wo die Sozialdemokraten auf längeres gemeinsames Lernen drängen. "Das werden extrem schwierige Verhandlungen", war das einzige, was gestern aus dem Landesverband zu hören war.

Dennoch begannen gestern auch in Unionskreisen die Spekulationen über mögliche Ressortchefs. Einer der ersten Wackelkandidaten ist dabei Innenminister Horst Rasch, der seit langem angeschlagen ist. Hinzu kommt Karl Mannsfeld, der als Kultusminister den SPD-Ansprüchen im Bereich Bildung zum Opfer fallen könnte - ähnlich wie Orosz im Sozialbereich. Sollte aber wirklich Tiefensee am Ende doch in Dresden antreten, könnte es auch einen anderen CDU-Mann treffen: Minister Martin Gillo. Denn Wirtschaft und Infrastruktur, das hätte die SPD gern.
(Von JÜRGEN KOCHINKE)

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