LVZ/Leipziger Volkszeitung, 22.09.2004
Landtagswahl in Sachsen und die Folgen: Lädierte Regierungspartei geht auf Brautschau CDU und SPD - Zwist schon vor der Ehe
Dresden. Als Thomas Jurk am Montagabend vor die Mikrofone trat, stand die Stoßrichtung bereits fest. Nicht die Sozialdemokraten im Freistaat seien am Zug, meinte der SPD-Chef nach der Vorstandssitzung in Dresden, "das Problem hat die CDU". Diese habe bei der Landtagswahl knapp 16 Prozentpunkte verloren und benötige nun einen Koalitionspartner - die SPD. Doch auch dabei gilt laut Jurk: "Wir sind nicht um jeden Preis zu haben", wer koalieren wolle, müsse kompromissbereit sein.
Damit hat der SPD-Chef die Latte für mögliche Koalitionsgespräche hoch gehängt. Es geht um Sachpolitik, und dabei vor allem um jene Punkte, die die SPD gegenüber dem großen Koalitionspartner CDU durchsetzen will. Die zentralen Streitpunkte sind seit Tagen klar: Im Bereich Bildung, Schule, Kitas drohen herbe Kontroversen. Hinzu kommen Wirtschaftsförderung und Kommunalfinanzen. In all diesen Bereichen liegen die programmatischen Ansätze von SPD und Union weit auseinander.
Zusammengehen schwer
Im Zentrum möglicher Auseinandersetzungen in Sachsen steht die Bildungspolitik. Hier setzt die Union klar auf Kontinuität, will am gegliederten Schulsystem festhalten. Teil dieses Konzepts ist der geplante Abbau von Lehrerstellen samt Schulschließungen. Die SPD dagegen plädiert für einen komplett anderen Weg. Sie will das gemeinsame Lernen in den Schulen fördern und Bildungswege erst ab der 9. Klasse trennen.
Das macht das Zusammengehen schwer. Denn in der Schulpolitik sind sich die Sozialdemokraten mit nahezu allen anderen Fraktionen im Parlament einig, vor allem mit Grünen und PDS. Die CDU dagegen steht mit ihrem Ansatz allein. Am Ende freilich wird sich ein Kompromiss hier nicht vermeiden lassen. Die CDU dürfte ihre harte Linie aufgeben und das gegliederte Schulsystem an einigen Stellen durchlässiger gestalten; die SPD dagegen wird zähneknirschend mancher Schulschließung zustimmen, um die Kosten für den Landeshaushalt in Grenzen zu halten.
Ähnlich ist die Lage im Kita-Bereich. Hier will Jurk den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung durchsetzen, am besten bis zum Ende der Grundschulzeit. Darüber hinaus soll es keine Zugangskriterien geben. Diese aber hat die CDU aus Finanzgründen nicht nur gefordert, sondern auch politisch zum Teil durchgesetzt. Und viele Kommunen - selbst SPD-geführte Städte und Gemeinden - haben sie längst beschlossen.
Ein weiteres zentrales Problemfeld besteht in den Kommunalfinanzen. Hier kritisiert die SPD seit Jahren, dass sich das Land zu Lasten von Städten und Gemeinden saniere. Folge: Um sein Gesicht zu wahren, müsste Jurk gegenüber der CDU auf mehr Geld für die Kommunen drängen - was den Etat belasten wird. Damit aber würde ein Kernbereich der Politik von Regierungschef Georg Milbradt (CDU) berührt, die Sanierung der Landesfinanzen. Schon deshalb dürfte eine Einigung in den Koalitionsgesprächen auf diesem Feld mehr als schwierig sein.
Einige Lichtblicke
Zwist zwischen den Partnern steht darüber hinaus im Bereich der Wirtschaftsförderpolitik ins Haus. Während Milbradt weitgehend auf die so genannte Leuchtturmpolitik, auf den Aufbau wirtschaftlicher Kerne, setzt, will die SPD mehr in die Breite fördern. Begründung: Wer Geld nur in Zentren stecke, verstärke die Abwanderung aus strukturschwachen Gebieten. Im Gegensatz zur Bildungspolitik und den Kommunalfinanzen dürften die Kontroversen zwischen beiden Partnern hier aber weniger hart verlaufen, da auch viele CDU-Politiker aus den Regionen sich gegen die Leuchtturmpolitik positioniert haben - und damit nicht zuletzt auch gegen Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU).
Neben diesen Problembereichen gibt es aber auch einige Felder, in denen kaum mit herben Auseinandersetzungen zu rechnen ist. Dazu zählen vor allem die Energie- und Europapolitik, wo beide Seiten an einem Strang ziehen. Das gilt vor allem für das Thema Braunkohle, die CDU wie SPD weiter fördern wollen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Hinzu kommt die Innere Sicherheit. Die Ausstattung der Polizei zum Beispiel will die SPD vehement verbessern - und plädiert damit für noch mehr Innere Sicherheit als die Union.
Von JÜRGEN KOCHINKE