Sächsische Zeitung, 06.10.2004
Lehrstellen reichen nicht
Noch 2 600 junge Sachsen auf der Suche / Mehr Erwerbslose, weniger Zuschüsse
Rund 60 Prozent der sächsischen Bewerber haben dieses Jahr eine Lehrstelle bekommen, die anderen werden meist weiter die Schulbank drücken. Rund 2 600 aber haben noch gar kein Angebot, mehr als vor einem Jahr. Auch die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen.
Chemnitz/Nürnberg. Es gibt noch freie Lehrstellen in Sachsen, und einige frische Auszubildende haben ihre neue Stelle auch schon wieder hingeschmissen und so wieder frei gemacht. Doch verglichen mit dem vorigen Jahr ist die „Lücke“ auf Sachsens Ausbildungsmarkt noch größer geworden, trotz Paktes zwischen Wirtschaft und Staat.
Ein Drittel mehr Jugendliche als vor einem Jahr sind mit Stand Ende September noch „unversorgt“, meldete gestern in Chemnitz Karl Peter Fuß, Chef der sächsischen Agenturen für Arbeit. Doch er urteilte, dass „der Ausbildungspakt trotz aller bundesweiten Unkenrufe in Sachsen greift.“ Zumindest die Industrie- und Handelskammern haben kräftig getrommelt und bei ihren Mitgliedsunternehmen dieses Jahr fast fünf Prozent mehr Lehrstellen eingeworben. Die Handwerkskammern teilten gestern mit, sie hätten die Zahl vom vorigen Jahr nicht ganz erreicht. 2 987 Jugendliche aus Sachsen haben in einem anderen Bundesland eine Ausbildung aufgenommen, 387 weniger als voriges Jahr.
Praktikum soll Klebe-Effekt bringen
Sowohl Fuß als auch Industrie-Lehrstellen-Experte Werner Mankel zeigten sich optimistisch, dass noch für jeden Suchenden „ein Angebot“ bis Jahresende eintrifft. Über Praktika von sechs bis zwölf Monaten sollen Jugendliche – meist mit schlechten Schulnoten – Kontakt zu Betrieben bekommen. Die Kosten werden von der Agentur in Höhe von rund 102 Euro pro Monat gefördert. Der Jugendliche erhält einen Zuschuss zum Unterhalt von 192 Euro. „Wir hoffen auf einen Klebeeffekt“, so Fuß, „das heißt, wenn Betrieb und Jugendlicher gut zusammenpassen, dann kann daraus ein fester Job oder eine Lehrstelle entstehen.“
Die Gewerkschaft Verdi verlangte gestern, die Unternehmen nun doch zu einer Ausbildungsumlage zu verpflichten, wenn sie nicht ausbilden. Auch bundesweit ist die Lücke zwischen Lehrstellen-Nachfrage und -Angebot noch gewachsen.
Für den sächsischen Arbeitsmarkt meldete Fuß in Chemnitz zwar eine „leichte Herbstbelebung“, aber keine Trendwende. Wo es Neueinstellungen gegeben habe, liege das oft am Ende der Sommerpause – Personal sei dann zurückgeholt worden. So schlecht wie in diesem September sei der Arbeitsmarkt seit sechs Jahren nicht gewesen.
Dabei wagen immer mehr Sachsen den Sprung in die geförderte Selbstständigkeit. Allein im September gründeten mehr als tausend eine Ich-AG, und gar 12 000 begannen Qualifizierungskurse. Doch die Chemnitzer Behörde bestätigte gestern auch SZ-Informationen, nach denen sie derzeit vorsichtiger mit ihren Zuschüssen umgeht: Mit Blick aufs Geld werde in den letzten Monaten dieses Jahres „genauer geprüft“, wo sich eine Ausgabe wirklich lohnt, sagte ein Agentur-Sprecher. Das sei aber kein Bewilligungsstopp.
Die Arbeitslosenquote in Sachsen stieg von 17,0 Prozent vor einem Jahr auf 17,4 Prozent, obwohl zum Beispiel manche älteren Arbeitslosen nicht mehr mitgerechnet werden. 384 008 Sachsen zählten Ende September als arbeitslos, rund 2 700 mehr als vor einem Jahr. Um mehr als 26 000 aber stieg die Zahl der „Arbeitsuchenden“: Insgesamt 511 890 Sachsen zählen dazu, wenn auch beispielsweise Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mitgerechnet werden.
Im regionalen Vergleich ist weiterhin die Arbeitslosigkeit in der Oberlausitz am höchsten, mit 21 Prozent; die Landeshauptstadt meldete 14,2 Prozent. Oschatz und Zwickau stechen mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit heraus.
In Deutschland insgesamt waren im September fast 49 000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet als vor einem Jahr: 4,256 Millionen. Im kommenden Winter könnte die Zahl über fünf Millionen steigen, zumal dann auch mehrere hunderttausend Sozialhilfe-Empfänger erstmals in die Statistik aufgenommen werden, falls sie als arbeitsfähig gelten. Die CDU warf der Bundesregierung gestern „Versagen auf der ganzen Linie vor“. (SZ/mz/pfü/AP) Lokales