Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 25.10.2004

Wenn die Messen gesungen sind

Neue Lehrpläne kontra Durchlässigkeit: Für Mittelschüler wird es schwerer, ans Gymnasium zu wechseln
 
Alle klagen über die Schule. Die Wirtschaft, die Eltern. Die SPD als kleiner Koalitionspartner fordert nun in Sachsen einen grundsätzlichen Systemwechsel. Eine neue Lernkultur, die fördert und fordert, die alle Schüler „mitnimmt“. Die CDU verteidigt ihr bisheriges Schulsystem mit Vehemenz als modern, innovativ, leistungsstark. Kritiker werfen der sächsischen Schule vor, Auslese statt Integration auf Kosten der Schwächsten zu betreiben. Sie stellen die Chancengleichheit dieses Schulsystems in Frage. „Die Mittelschule darf keine Sackgasse sein“, fordert der Dresdner Schulforscher Wolfgang Melzer. Ist sie das?

Bekanntlich werden in Klasse 4 an Sachsens Grundschulen die Weichen gestellt: Mittelschule oder Gymnasium. Weil die Klassenstufen 5 und 6 als Orientierungsstufe deklariert werden, besteht laut Schulgesetz jeweils danach sowie nach Klasse 10 die Möglichkeit, von der Mittelschule ans Gymnasium zu wechseln – einen Notendurchschnitt von nicht schlechter als 2,5 vorausgesetzt. In Wirklichkeit ist das Ergebnis aber eher mager.

„Das müssen schon Hochmotivierte sein“

Befragt, wie viele Schüler davon Gebrauch machten, muss Michael Janik lange in der Erinnerung kramen. Vor vier Jahren hat es das letztmalig an der Goethe-Mittelschule in Heidenau gegeben, erinnert sich der Schulleiter dann. Rund zehn Schüler wurden zu Beginn dieses Schuljahres am Dresdner Marie-Curie-Gymnasium nach Klasse 5 aufgenommen, sagt Schulleiterin Renate Brauner. Am Dippoldiswalder „Glück-auf!“-Gymnasium, so Schulleiter Volker Hegewald, waren es fünf nach Klasse 5 und drei nach Klasse 6. Im Regierungsbezirk Dresden werden ganze 363 Schüler zu Beginn dieses Schuljahres als „Wechsler“ registriert, 177 im Regionalschulamtsbereich Dresden, 186 im Bereich Bautzen.

Es stimmt also, dass nach der frühen Auslese nach Klasse 4 im Wesentlichen „die Messen gesungen“ sind. Schulleiter sind sich einig darin, es müssten schon besonders Hochmotivierte sein, die den Sprung später noch wagen – und auch den Anschluss schaffen. Professor Wolfgang Melzer: „Die Kinder sind in einer starren Selektionskultur eingebunden.“

Fatal ist, dass die Chancen für „Spätentwickler“ auf höhere Schulabschlüsse mit den eben in Kraft gesetzten neuen Lehrplänen nicht vergrößert, sondern sogar weiter minimiert werden. Während in Gymnasien nunmehr für Schüler ab der sechsten Klasse eine zweite Fremdsprache auf dem Stundenplan steht, gibt es das in den sechsten Klassen der Mittelschulen eben nicht. Der Zug fährt also ohne sie weiter.

Kultusminister Karl Mannsfeld (CDU) lobt in seinem Elternbrief die Neuerungen und mündet in der Feststellung: „Die sächsische Schule will Kinder und Jugendliche noch besser auf ihr Leben vorbereiten.“
Von Carola Lauterbach

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: