Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland - ND, 03.11.2004

Jeder nehme, wo er kann

Das Ende der CDU-Alleinherrschaft in Sachsen könnte der Bereitschaft zur Korruption entgegenwirken
 
In 14 Jahren Einparteienherrschaft in Sachsen konnte schwarzer Filz kaum ausbleiben. Sehr spät hat die CDU-Landesregierung versucht, den eigenen Leuten auf die Finger zu schauen.

Es ist nur ein unbedeutender Fall aus der Provinz, der es nie bis in die Schlagzeilen der sächsischen Landeshauptstadt geschafft hat. Nicht einmal auf die Internetseite www.schwarzerfilz.de, die SPD-Chefaufklärer Karl Nolle gemeinsam mit seinem bisherigen Landtags-Fraktionschef Thomas Jurk eröffnet hat. Die Vorgänge im sorbischen Siedlungsgebiet stehen dennoch beispielhaft dafür, welches Beziehungsgeflecht sich unter lauter netten Leuten in 14 Jahren Einparteienherrschaft entwickelt hat.

Ein Kartell des Schweigens

Subventionsbetrug in fünf Fällen stellte das Amtsgericht Görlitz im Frühjahr dieses Jahres fest und verurteilte Franz Petasch, den Bürgermeister der Lausitzer Gemeinde Panschwitz-Kuckau, zu 17 Monaten Freiheitsstrafe. Die gleiche Strafe erhielt sein mitangeklagter ehemaliger Bauverantwortlicher Georg Paschke. Unter Auflagen, zu denen die Zahlung von 500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung gehört, wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt. Der mittlerweile 60-jährige Petasch legte dennoch Berufung ein. Würde das Urteil in dieser Höhe rechtskräftig, drohte ihm der Verlust seiner Pensionsbezüge. Die Hauptverhandlung in zweiter Instanz beim Görlitzer Landgericht steht noch aus.

Petasch hatte in den Jahren 1994 bis 1998 für seine Gemeinde umgerechnet 100000 Euro Fördermittel aus dem sächsischen Umweltministerium erhalten. Bachläufe sollten renaturiert und hübsch bepflanzt werden. Mit den Arbeiten wurde eine Miltitzer Dienstleistungsgesellschaft GmbH (MDL) beauftragt. Diese MDL war eine Ausgründung aus dem ehrenwerten Christlich-Sozialen Bildungswerk Sachsen e.V. (CSB). Über die Gründungsumstände der MDL GmbH kursieren abenteuerliche Gerüchte. So soll die Stammeinlage von 50000 Mark durch die Bewertung schrottreifer Autos aufgebracht worden sein.

Das Bildungswerk widmet sich im ländlichen ostsächsischen Raum der Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit und beschäftigt mehr als 100 Mitarbeiter. An seiner Spitze standen und stehen namhafte CDU-Mitglieder, so der frühere sächsische Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen, Staatskanzleichef Stanislaw Tillich und Ulrich Klinkert, ehemals Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Bürgermeister Petasch ist stellvertretender Vorsitzender.

Die MDL aber, deren alleiniger Gesellschafter das CDU-nahe Bildungswerk war, führte die naturfreundlichen Arbeiten in Panschwitz-Kuckau nur zum geringsten Teil aus. Der damalige Bauverantwortliche Georg Paschke unterzeichnete dennoch fiktive Abnahmeprotokolle. Die MDL ging 1999 in Insolvenz, die Sache flog auf, das Ministerium forderte und erhielt die Fördergelder zurück.

Der 20 Prozent Kofinanzierungsanteil, mit dem sich die Gemeinde an dem Projekt beteiligt hatte, ist aber sind dahin. Die Gemeinde in Person des Bürgermeisters müsste zivilrechtliche Ansprüche sozusagen gegen sich selbst geltend machen. Das ist indes nicht zu befürchten, denn ein Kartell des Schweigens deckt alles. Journalistische Anfragen werden nicht beantwortet. Vom Gemeinderat ist nichts zu befürchten – hier herrscht die CDU hegemonial. Neben ihr ist nur noch die Sorbische Liste vertreten. Der ehemalige Geschäftsführer der MDL will aus Angst nicht reden. Seine Frau ist beim CSB-Bildungswerk beschäftigt. Bürgermeister Petasch denkt nicht daran, während des schwebenden Verfahrens sein Amt ruhen zu lassen. Das Bildungswerk gratulierte ihm vielmehr im Juli zum 60. Geburtstag, als sei nichts geschehen. CSB-Pressesprecher Dirk Raffe verfasst in der Lokalpresse nette Artikel über den Mitangeklagten Paschke.

Peanuts, von denen in Dresden kaum jemand etwas weiß. Im Vergleich zu den 21 Millionen Euro Fördergeldern, die 1999 bei der Privatisierung des Zentrums Mikroelektronik Dresden ZMD zweckentfremdet wurden, erscheint das CDU-Geflecht im Sorbenland geradezu harmlos. Ein Einzelfall ist es aber bei weitem nicht.

Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle, der im neuen Landtag sogar zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden aufstieg, hat im Internet eine Übersicht von 34 bislang aufgedeckten Fällen ins Netz gestellt. Im Zusammenhang mit der Affäre um die Qualifizierungsgesellschaft QMF bei der ZMD-Privatisierung beließ es der SPD-Mann nicht dabei, sondern stellte Strafanzeige. Ein beliebter Sport bei Nolle, der in solchen Fällen gern scharf nachwäscht.

Einige der von ihm aufgelisteten Fälle waren schon in der Biedenkopf-Ära Gegenstand von Untersuchungsausschüssen. Der bekannteste dürfte die Amigo-Affäre um günstige Konditionen für das Leipziger Paunsdorf-Center gewesen sein. Sozialministerin Christine Weber musste nach einer privaten Fluthilfegeld-Affäre entnervt gehen, der CDU-Landtagsabgeordneten Kerstin Nicolaus droht ähnliches. Gegen den Delitzscher Landrat Michael Czupalla ermittelt die Polizei wegen allzu großer Nähe zu einer Müllverbrennungs-Connection. Sein suspendierter Kollege Udo Hertwig aus Stollberg muss sich wegen Untreuevorwürfen vor Gericht verantworten.

In Machern im Leipziger Raum gibt es jetzt eine klassische Bereicherungsaffäre um Bürgermeister Ralf Ziermaier und CDU-Verbindungsmänner in die örtliche Wirtschaft. Für eine drei Millionen Mark teure Prachtvilla müssen indirekt auch die Bürger der Gemeinde aufkommen. Ziermaier immerhin ist seit zwei Jahren vom Amt suspendiert, bezieht aber nach wie vor die Hälfte seines früheren Bürgermeistergehalts.

Ministerpräsident Georg Milbradt selbst ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kurt Biedenkopf der Vetternwirtschaft unverdächtig. Er habe sein Dresdner Regierungsviertel zwar noch einigermaßen im Griff, meint ein Mitarbeiter der PDS-Landtagsfraktion. Die Provinzfürsten aber machten, was sie wollten. Fast 600 Verfahren wegen Korruption hat die Staatsanwaltschaft seit 1997 eingeleitet, 145 Verurteilungen erfolgten bereits. Deshalb hätte Milbradt im Frühjahr auch mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen die Notbremse ziehen müssen, so die PDS-Meinung.

Das Kabinett beschloss damals die Gründung der Anti-Korruptionseinheit INES. Das Kürzel steht für »Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen«. Diese aus Polizei, Staatsanwaltschaft und Spezialisten gebildete 60-köpfige Ermittlungsgruppe hat laut Justizministerium ein »sauberes, filzfreies Sachsen« zum Ziel. So las man es übrigens auch bei den konkurrierenden Parteien, die sich mit Erfolg um neue Kräfteverhältnisse im Landtag bewarben.

Bereitschaft zur Selbstreinigung

Ministerpräsident Milbradt wich bei einer Plauderei noch im Landtagswahlkampf der Frage nach wuchernden Myzelen im Land aus. So etwas gebe es zu allen Zeiten und in allen Systemen. Er verweist auf Leipzig, wo unter einer kommunalen SPD-Führung im Zuge der Olympia-Bewerbung ähnliche Kungeleien offenbar geworden seien. Zur Einrichtung von INES sei er durch Hinweise der Anti-Korruptions-Organisation Transparency international inspiriert worden. Danach fällt Deutschland im internationalen Korruptions-Ranking immer weiter zurück, konnte allerdings in diesem Herbst wieder wenige Plätze gutmachen. Große Hoffnungen setzt Milbradt auf die neue Antikorruptionseinheit und erwähnt besonders den bisherigen Justiz-Staatssekretär Gerd Mackenroth.

Karl Nolle von der SPD betrachtet hingegen INES eher als Alibiveranstaltung vor der Wahl. Nicht zuletzt sei die Aktion auch dazu angetan gewesen, das Image von Justizminister Thomas de Maizière zu heben. Nolle erkennt immerhin die Bereitschaft zur Selbstreinigung innerhalb der Staatsregierung an, die sich auch bei der Innenrevision des Wirtschaftsministeriums im Falle der ZMD-Privatisierung gezeigt habe.

Die Moral der Bürger wurde zerstört

Neue Töne der Verbindlichkeit vom SPD-Schlachtross? Er werde auch in einer neuen SPD-CDU-Koalition allen Hinweisen auf Bestechlichkeit und Mittelverschwendung nachgehen, kündigt Nolle an. Das sei eigentlich Aufgabe aller Wahlkreisabgeordneten ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. Möglicherweise ergäben sich in einer Koalition auch »neue Instrumente«, auf Vorgänge und Personalien Einfluss zu nehmen, orakelt Nolle und erwähnt das CDU-geführte Leipziger Regierungspräsidium.

Der Entwurf eines Anti-Korruptionsgesetzes der SPD hat zwar in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle gespielt, ist aber nicht Bestandteil der in Kürze zu erwartenden SPD-CDU-Vereinbarung. Der Leiter von INES, Oberstaatsanwalt Claus Bogner, sieht durchaus noch Lücken in der Antikorruptionsgesetzgebung und erwähnt beispielhaft die Kronzeugenregelung. Die sieht der SPD-Entwurf unter anderem vor. Zu einem von der PDS-Landtagsfraktion noch in der abgelaufenen Legislaturperiode angeforderten INES-Zwischenbericht ist es nicht mehr gekommen. Staatsanwalt Bogner berichtet aber mündlich von fünf neu geschaffenen Stellen für Staatsanwälte und von ersten Erfolgen. Zu den zählbaren gehören Anklageerhebungen wie gegen den ehemaligen Crimmitschauer Oberbürgermeister Peter Zippel (CDU) wegen Bestechlichkeit. Auch das Anzeigeverhalten habe sich verändert. Insider fühlten sich allein durch die Existenz von INES zu Tipps ermutigt.

Die Anti-Korruptionseinheit wird allerdings in der Regel erst auf Weisung des Generalstaatsanwalts tätig. Bekämpfen kann sie auch nur Auswirkungen, nicht die Ursachen von Filz und Korruption. Hans Leyendecker schreibt im Vorwort zu seinem Buch »Die Korruptionsfalle«: »Schleichend hat sich das Land verändert. Postenvergabe nach Proporz und Parteienherrschaft haben die Moral der Bürger zerstört.«
von Michael Bartsch, Dresden

Karl Nolle im Webseitentest
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