DNN/LVZ, 04.11.2004
Ende der Achterbahnfahrt
Dresden. Ein breites, stolzes Grinsen geht über das Gesicht von Thomas Jurk und will gar nicht mehr verschwinden. An der Seite von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) erklärt der SPD-Chef gestern im Presseraum des Landtages den Vertrag der ersten Koalitionsregierung Sachsens seit der Wende. Nach 14 Jahren in der Opposition genießt Jurk die Premiere SPD-Positionen auf der Regierungsbank zu vertreten.
Fünf Wochen haben die Unterhändler das 86-seitige Papier ausverhandelt, das nun den Fraktionen und der Öffentlichkeit vorliegt. Die Zeit habe man gebraucht, "damit wir uns nicht hinterher kloppen wie die Kesselflicker", sagt Milbradt und macht freundliche Mine zum bösen Spiel. Er spricht von einer "guten Grundlage für die Zusammenarbeit mit der SPD" und von harten Verhandlungen: "Wir haben uns nichts geschenkt."
Tatsächlich war es für beide Seiten eine Achterbahnfahrt. Größte Kröte für die Union (neben dem Verlust von zwei Ministerien) ist, dass die Neuverschuldung nicht wie geplant über 200 Millionen und 100 Millionen bis 2007 auf Null zurückgefahren wird. Stattdessen nimmt der Freistaat 350 Millionen Euro 2005 und 250 Millionen 2006 auf und wird neue Schulden erst 2009 vermeiden. "Die alten Zahlen wären mir lieber gewesen", so Milbradt. Doch angesichts des Machbaren seien sie durchaus realistisch, gesteht Haushaltspolitiker Uwe Albrecht ein.
Das Geld fließt nun vor allem in Bildung und Mittelstandsförderung. Geplant sind unter anderem in Kitas jährlich 15 Millionen Euro für Investitionen und eine höhere Pro-Kopf-Pauschale von 1800 Euro statt bisher 1664. Das letzte Kindergartenjahr soll zudem als "Schulvorbereitungsjahr" mit mehr Personal und Geld ausgestattet werden. Erwogen wird, das Einschulungsalter um ein halbes Jahr zu senken.
Vorgesehen sind zusätzlich 800 Stellen an Grundschulen, Pilotprojekte zur Berufsorientierung an zehn Mittelschulen, je 100 neue Stellen für Berufs- und Förderschulen sowie die Eröffnung einzelner "Gemeinschaftsschulen" mit längerem gemeinsamen Lernen und einer Zusammenlegung von Mittelschule und Gymnasium. Die Ausgestaltung hänge von einzelnen Konzepten ab, die Anzahl sei nicht gedeckelt, sagte Jurk. Fest steht jedoch auch, dass an Mittelschulen und Gymnasien Personal reduziert wird. Die Hochschulen erhalten in den nächsten beiden Jahren 21 Millionen für Bibliotheken, studentische Hilfskräfte und die Studentenwerke.
Eingeräumt wurde zudem ein mit 30 Millionen Euro ausgestatteter, mittelständischer Wachstumsfonds und ein Zehn-Millionen-Programm "Regionales Wachstum". Als Reaktion auf den Einzug der NPD in den Landtag verständigte sich die Koalition auf zwei Millionen Euro für ein "Programm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit". Über eine mögliche Abschaffung von Regierungspräsidien und Landesbehörden oder eine Zusammenlegung von Kreisen soll indes bis Juni 2005 eine Expertenkommission befinden.
Am Sonnabend wollen nun CDU und SPD auf Sonderparteitagen das Papier absegnen. Die Unterzeichnung ist für Montag vorgesehen. Unter der Hand machten Unionskreise gestern derweil deutlich, dass eine Reihe von SPD-Forderungen - etwa nach Koordinierungsstellen, Beauftragten, Gesetzesänderungen und Zugangskriterien für Kitas - gestoppt wurden. Auch konnte die SPD weder eine Aufstockung bei der Polizei noch einen Verzicht auf einen Doppel-Haushalt erreichen. Zugeständnisse habe es vor allem in jenen Bereichen gegeben, die die CDU ohnehin gewollt habe. Deren Schulpolitiker Thomas Colditz war jedenfalls zufrieden mit der "vernünftigen Arbeit".
von Sven Heitkamp