DNN/LVZ, 07.12.2004
Neue Schulform in Sachsen geplant
Leipzig/Dresden. "Das Beispiel Polens zeigt: In relativ kurzer Zeit können sich die Ergebnisse verbessern." Das sagte gestern Bildungsexperte Andreas Schleicher von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die die so genannte Pisa-Studie in Auftrag gab. Damit spielte er auf die geringe Verbesserung deutscher Schüler im Vergleich zum ersten Pisa-Test an. Sachsens Kultusminister Steffen Flath (CDU) will weitere Verbesserung mit einer neuen Lernkultur erreichen, statt das Schulsystem auf den Kopf zu stellen. Trotzdem wird in seinem Haus eine neue Schulform entwickelt. An der so genannten Gemeinschaftsschule sollen Kinder bis zur sechsten, statt wie bisher nur bis zur vierten Klasse gemeinsam lernen, bevor sie auf Gymnasien oder Mittelschule wechseln.
Aus Sachsen nahmen an der zweiten Pisa-Studie mit dem Schwerpunkt Mathematik zehn Schulen teil. Aus Thüringen waren es neun. Thüringens Kultusminister Jens Goebel (CDU) erklärte, die Ergebnisse böten keinen Anlass für überschwängliche Freude. Allerdings habe die Studie ergeben, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Differenzierung im Schulsystem und den Kompetenzen der Schüler gebe. "Kompetenz hängt von der Qualität der Schule und des Unterrichts ab. Wir brauchen also eine Qualitätsdebatte und keine Strukturdebatte", so Goebel.
Für die Bildungsgewerkschaft GEW zeigt das erneut magere Abschneiden Deutschlands, "dass das Ergebnis vom Jahr 2000 kein Zufall war". Es sei zudem verhängnisvoll, wenn sich die Schere zwischen oberer und unterer Leistungsgruppe weiter öffne, sagte Sachsens GEW-Chefin Sabine Gerold unserer Zeitung. Bildungspolitische Kleinstaaterei und Flickschusterei hätten sich als der falsche Weg erwiesen. Gerold warnte zugleich vor dem angedrohten Stellenabbau und Tarifkürzungen an Sachsens Mittelschulen und Gymnasien. Finanzminister Horst Metz (CDU) könne nicht die angekündigten 800 zusätzlichen Grundschullehrer durch einen Abbau an Mittelschulen gegenfinanzieren. Die GEW verlangte ein Sofortprogramm zur Sprachförderung von Schülern aus einkommensschwachen Elternhäusern und für Migrantenkinder. Laut Pisa-Studie gelten 20 Prozent der 15-Jährigen als "Risikoschüler", deren Mathe- und Lesekompetenzen nicht über Grundschulniveau hinausgehen.
Sachsens neuer Kultusminister Steffen Flath (CDU) wandte sich indes gegen überzogene Kritik am Bildungsstandort Deutschland: "Mit der Pisa-Hysterie vergraulen wir diejenigen, die wir für den neuen Bildungskurs brauchen." Flath kündigt eine "neue Lehr- und Lernkultur im Unterricht" an. "Wir brauchen eine pädagogische Wende, statt das Schulsystem auf den Kopf zu stellen", so Flath.
Dennoch sind in Sachsen einschneidende Änderungen im Schulsystem geplant. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD sieht die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen vor. In diesen Modelleinrichtungen sollen die Schüler bis zur sechsten Klasse gemeinsam lernen. Derzeit wird ein Kriterienkatalog aufgestellt, danach das Verfahren zur Einrichtung dieser Schulen entwickelt. Ein Start bereits mit dem neuen Schuljahr nach den Sommerferien 2005 wird im Kultusministerium nicht ausgeschlossen. Sprecher Dirk Reelfs bestätigte das große Interesse an diesen Einrichtungen. "Wir rechnen mit etwa 50 bis 60 Gemeinschaftsschulen in Sachsen. Es gibt aber keine Beschränkung", so Reelfs. Möglicherweise richte sich die Zahl nach dem Bedarf.
Sven Heitkamp und Andreas Friedrich
.