Freie Presse Chemnitz, 28.01.2005
Bröckelnde Front: Bei der Selbstversorgung sieht auch Politik Reformbedarf
Leitartikel von Hubert Kemper
Norbert Blüms Rente ist sicher. 9100 Euro erhält er monatlich. Für eine ähnlich hohe Ruhegeld aus der gesetzlichen Rentenkasse müsste 173 Jahre der Höchstbetrag eingezahlt werden. 162 Jahre sind es, um die 8900 Euro von Sozialpolitiker Horst Seehofer zu erreichen. Matthias Bernfinger, Staatssekretär im Agrarministerium, hat nach vier Amtsjahren bereits einen Ruhegeldanspruch von 4000 Euro erreicht. Er ist 33 Jahre alt.
Man braucht nicht die 442 Jahre zu bemühen, die ein deutscher Durchschnittsverdiener arbeiten müsste, um den Pensionsanspruch von 11.600 Euro zu erreichen, den Finanzminister Hans Eichel aus verschiedenen Ämtern erworben hat. Die Altersversorgung unserer Abgeordneten und Minister ist das Ergebnis einer trickreichen Selbstbedienung. In ihrer Schamlosigkeit gleicht sie vermeintliche Defizite bei den Diäten aus. Sie soll das Risiko vor dem Verlust von Amt oder Mandat abfedern, fördert aber die Unflexibilität. Je länger ein Abgeordneter durchhält, umso höher sein Rentenanspruch. Dieser Verlockung widerstehen auch Jungpolitiker nicht. Abgeschliffen im internen Postengerangel gilt für sie die Karrierefolge Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal.
Am Beharrungsvermögen und sicheren Instinkt für die Vergänglichkeit medienträchtiger Themen sind bisher Reformen des Versorgungswerks gescheitert. Nun bröckelt die Abwehrfront. Wer angesichts leerer Staats- und Rentenkassen Verzicht und Veränderungsbereitschaft fordert, sollte mit eigenem Beispiel vorangehen. Hinweise auf üppige Versorgungsleistungen von Sparkassen-Vorständen oder Spitzenbeamte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk bringen Politiker nicht aus der Verantwortung. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit und den Rest an Zuversicht auf eine Belebung der Szene durch frische, unverbrauchte Kräfte.
Auch in Sachsen hat die Diskussion unverhofften Schwung erhalten. Die CDU nimmt den Druck der Konkurrenz auf. So weit wie in Düsseldorf will sie sich nicht bewegen. Dort sollen die Abgeordneten mit einer kräftigen Aufstockung der Diäten für den Wegfall aller Pauschalen entschädigt werden und die Selbstverantwortung für ihre Altersversorgung übernehmen. Für eine solch einschneidende, aber klare Lösung fehlt hierzulande noch der Mut. In kleinen Schritten soll der Rentenanspruch abgesenkt werden - damit der gute Wille erkennbar wird, ohne dass es dem Einzelnen weh tut.
Demokratie kostet Geld. Den Gegenwert erbringen Regierung und Parlament nicht aus der Sicherheit einer grotesken Überversorgung, sondern aus dem Prinzip von Leistung und Risiko - so wie im richtigen Leben. Unsere Volksvertreter plus Minister sollten ein Topgehalt beziehen. Wie sie damit für ihr Alter vorsorgen, ist ihre Sache. Damit hätten sie ein Reizthema aus den Schlagzeilen befördert. Aussitzen können sie den Fall nicht mehr. Auch in der Politik . bleibt nichts so, wie es einmal war.